Gewalt auf dem Westbalkan Warum der Kosovo-Konflikt für die Nato so prekär ist

Brüssel · Wieder fließt Blut im Kosovo: Über 50 verletzte Serben, 30 verwundete italienische und ungarische Soldaten. Der Westbalkan kommt nicht zur Ruhe. Dabei werden auch globale Sorgen der westlichen Allianz im Hintergrund sichtbar.

Ein Videostandbild von den Zusammenstößen im Norden des Kosovo am Montag.

Ein Videostandbild von den Zusammenstößen im Norden des Kosovo am Montag.

Foto: dpa/Uncredited

Das Wiederaufflammen der Gewalt im Kosovo hat 30 Nato-Soldaten verletzt, dem Bündnis zugleich vor Augen geführt, wie verwundbar dieser Teil des Kontinentes weiterhin ist. Seit fast einem Vierteljahrhundert sind Kfor-Truppen der Nato mit Soldaten aus derzeit einem halben Dutzend Nicht-Nato-Staaten in diesem vergleichsweise kleinen Gebiet stationiert. Doch trotz aller Bemühungen hat die Diplomatie den Durchbruch zu einem dauerhaften friedlichen Zusammenleben von Serben und Kosovo-Albanern nicht hinbekommen.

Dabei unterstreicht gerade Bundeskanzler Olaf Scholz immer wieder, wie dringlich die Aufnahme der sechs Westbalkan-Staaten Albanien, Bosnien, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien in die EU ist, denen zum Teil bereits vor Jahrzehnten eine Perspektive als Mitglieder der Europäischen Union gegeben wurde. Doch insbesondere der serbisch-kosovarische Konflikt steht als eines der größten Hindernisse im Raum, weil die serbische Minderheit im Kosovo ihre Rechte für ungeklärt hält und Serbien die 2008 erfolgte Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkannt hat. Noch im März sah es danach aus, als hätte eine deutsch-französische Initiative Erfolg mit dem Ansatz, statt einer finalen Anerkennung eine faktische Akzeptanz zu erreichen.

Dass dies nichts gefruchtet hat, zeigt sich in diesen Tagen, an denen Serbien seine Truppen an der Grenze zum Kosovo in Alarmzustand versetzt und Serben im Norden des Kosovos regionale Verwaltungssitze zu stürmen versuchen. Die eiligst in den besonders betroffenen Kommunen verstärkten Kfor-Einheiten wurden Opfer von Brandsätzen, Steinwürfen und Schüssen. Auch zahlreiche Knochenbrüche registrierten die Sanitäter bei ihren Kameraden. Elf Soldaten des italienischen und 19 des ungarischen Kontingentes waren davon betroffen. Kfor-Chef Generalmajor Angelo Michele Ristuccia rief beide Seiten dazu auf, für das Geschehene die volle Verantwortung zu übernehmen und eine weitere Eskalation zu verhindern, „statt sich hinter falschen Narrativen zu verstecken“.

Beim Start der Kfor-Mission im Jahr 1999 waren 48.000 Soldatinnen und Soldaten damit beschäftigt, das Bürgerkriegsland zu befrieden, den Abzug jugoslawischer und serbischer Truppen zu begleiten und Ruhe und Ordnung herzustellen. Dabei arbeiteten sie eng mit Polizei- und Justiz-Missionen von Vereinten Nationen und Europäischer Union zusammen. Nach der Unabhängigkeitserklärung reduzierte die Nato die Kfor-Stärke schrittweise auf weniger als ein Zehntel - derzeit 3800. Die anfangs mit 8000 Soldaten beteiligte Bundeswehr ist derzeit nur noch mit rund 90 Stabssoldaten vertreten, hat aber das Mandat, bei Gefahr auch wieder Eingreifkräfte zu schicken. Die USA stellen immer noch das zweitgrößte Kontingent mit 561 GI - nach den Italienern mit 715 Militärangehörigen.

Für die Nato zeigt sich im Westbalkan die geopolitische Gefahrenlage wie in einem Brennglas. Weil es der Europäischen Union auch nach drei Jahrzehnten nicht gelungen ist, einen Interessenausgleich in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft durchzusetzen und die sechs betroffenen Länder, wie versprochen, in ihre Gemeinschaft zu integrieren, sieht sich die Nato an ihrer Südostflanke mit einer Situation konfrontiert, die die Region jederzeit destabilisieren kann. Dabei bemühen sich drei Kräfte um wachsenden Einfluss auf die Region, gegen die die Nato strategisch ausgerichtet ist: Russland und China finden vor allem in Serbien einen willkommenen Resonanzraum, der radikale Islamismus versucht vor allem, in Bosnien Fuß zu fassen.

Alle Westbalkan-Staaten haben positiv auf die Angebote Chinas reagiert, Teil der neuen Seidenstraße zu werden und Investitionen in ihren Ländern zuzulassen, die einer Aufnahme in die EU zum Teil deutlich entgegenstehen und auch den Zweck verfolgen, Europa zu spalten und sich Befürworter der chinesischen Politik zu sichern. Deshalb war die Erleichterung auch bei der Nato deutlich zu spüren, als Berlin, Paris und Brüssel die grundsätzliche Verständigung zwischen Serbien und dem Kosovo verkünden konnten. Doch schon die ersten Versuche, den Rahmen mit konkreten Inhalten zu füllen, ließ die Konflikte wieder aufleben. Zunächst ging es um kosovarische Nummernschilder auch für serbische Autos im Nordkosovo. Nun wollen Serben die Amtsübernahme durch kosovarische Bürgermeister in ihren Gebieten verhindern. Diese konnten jedoch überhaupt erst gewählt werden, weil die Serben selbst die Kommunalwahlen boykottiert hatten. Auch dieser Konflikt war bereits seit Monaten gezielt vorbereitet worden.

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