Landeswahlleiter Stephan Bröchler zur Wahl am 12. Februar „Berlin ist keine Bananenrepublik“

Interview | Berlin · Am Sonntag findet in Berlin die Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus statt. Landeswahlleiter Stephan Bröchler, der aus Düsseldorf stammt, spricht über strukturelle Probleme in der Bundeshauptstadt, erneute Pannen bei der Stimmabgabe und reflexartiges Berlin-Bashing.

Berlins Wahlleiter Stephan Bröchler sagt: „2021 ist eine Menge Vertrauen verlorengegangen, nun wollen wir Vertrauen zurückgewinnen.“

Berlins Wahlleiter Stephan Bröchler sagt: „2021 ist eine Menge Vertrauen verlorengegangen, nun wollen wir Vertrauen zurückgewinnen.“

Foto: dpa/Carsten Koall

Am Sonntag werden die Berliner erneut zur Wahlurne gebeten. Ein gebürtiger Düsseldorfer soll dafür sorgen, dass es bei der Wiederholung der Abgeordnetenhaus-Wahl nicht erneut zu Pannen kommt: Stephan Bröchler, Professor für Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, hatte als Wahlleiter 90 Tage Zeit, um eine krisenfeste neue Wahl auf die Beine zu stellen. Ein Gespräch über Berliner Reformbedarf, OSZE-Beobachter und Sieben-Tage-Wochen.

Herr Bröchler, hat es so eine Wahlwiederholung wie in Berlin schon mal irgendwo gegeben?

Stephan Bröchler Nein, es gibt aber zwei Referenzfälle. In Hamburg ist Anfang der 1990-er Jahre eine Wiederholungswahl angeordnet worden. Dazu kam es aber nicht, weil die Bürgerschaft sich aufgelöst hatte. Außerdem wurde die Bundespräsidentenwahl in Österreich 2016 wiederholt. Aber die Herausforderung war noch nirgends so groß wie in Berlin. Normalerweise hat man mindestens ein Jahr Zeit, eine Wahl auf die Beine zu stellen. Wir hatten nur 90 Tage. Und Wahlen zu organisieren, ist ein sehr kleinteiliger Prozess.

Wie darf man sich die Arbeit eines ehrenamtlichen Wahlleiters vorstellen?

Bröchler Derzeit ist es ein Vollzeitjob. Die Bandbreite meiner Aufgaben ist enorm: Ich beschäftige mich mit großen Fragen der Demokratie, aber auch mit der Frage, welche Sichtdichte Papier haben muss. Es muss viel abgestimmt, es muss ständig Konsens organisiert werden. Und das nicht nur auf Landesebene, wir müssen auch ganz eng mit den Bezirken kommunizieren. Dabei bin ich ein König ohne Land. Ich bin für die Wahl verantwortlich, habe aber keine Instrumente zur Verfügung. Im Jahr 2021 ist die Landeswahlleiterin zurückgetreten, sonst niemand.

Welche Reformen muss Berlin angehen, um wieder funktionsfähiger zu werden?

Bröchler Das Kompetenzgerangel zwischen Landesebene und Bezirken erschwert die Arbeit enorm. Wir brauchen daher eine umfassende Verwaltungsreform. Zunächst braucht der Landeswahlleiter Organisationsrechte. Zudem müssen Landes- und Bezirkswahlämter geschaffen werden. Ich bin froh, dass Regierung und Opposition verstanden haben, dass 2021 ein großer Reformbedarf zu Tage getreten ist. Zudem ist klar: Wir dürfen nie wieder parallel zu einer Wahl einen Marathon ausrichten.

Fehlende Wahlscheinnummern auf Rücksendeumschlägen, weggezogene Kandidaten auf Stimmzetteln, falsche Wahldaten – es passieren weiterhin Fehler. Wie sehr ärgert Sie das?

Bröchler Das ärgert mich enorm. Allerdings ist es auch so, dass die Berliner wissen sollen, dass wir solche Fehler ernst nehmen und sie sofort beheben. Eine Wahl ohne Fehler gibt es nirgends, übrigens auch nicht in Nordrhein-Westfalen. In Neukölln ist ein FDP-Kandidat auf dem Stimmzettel erschienen, der gar nicht mehr in Berlin wohnt. Das war das Ergebnis eines 18-stündigen Arbeitstages meines Mitarbeiters. Das war ärgerlich, wir haben aber umgehend neue Stimmzettel versendet. Wir versuchen, Fehler zügig zu heilen und offen zu kommunizieren. 2021 ist eine Menge Vertrauen verlorengegangen, nun wollen wir Vertrauen zurückgewinnen.

Trifft Sie die Häme, die bisweilen aus anderen Bundesländern kommt?

Bröchler Da sollte man differenzieren. Es gibt berechtigte Kritik, denn in Berlin muss viel reformiert werden. Das ist nicht nur der Bereich der Wahlorganisation. Als Düsseldorfer muss ich aber auch sagen, dass diese reflexartige Kritik – vor allem aus München – nicht dabei hilft, Vertrauen bei den Bürgern zu schaffen.

Welche Wahlbeteiligung wünschen Sie sich?

Bröchler Ich würde mir eine Beteiligung von 70 Prozent wünschen, realistisch sind 60 Prozent. Was mich zuversichtlich stimmt, ist, dass wohl noch nie so viel über Wahlen diskutiert worden ist wie derzeit. Das könnte das Interesse steigern.

Wie sorgen Sie dafür, dass es am Sonntag nicht wieder zu Chaos kommt?

Bröchler Wir haben eine große Zahl von kleinen Maßnahmen auf den Weg gebracht. So wurde etwa die Zahl der Stimmzettel deutlich erhöht und sie wurden besser sortiert. Die Zahl der Wahlkabinen haben wir erhöht, zudem stehen Ersatzkabinen bereit. Auch die Wahlvorstände sind vergrößert worden. Das Bundesverfassungsgericht hat uns aber leider einige Fragen nicht beantwortet.

Was hätten Sie gerne vom Bundesverfassungsgericht gewusst?

Bröchler Wichtig ist etwa die Frage, wie wir damit umgehen, wenn nach 18 Uhr noch eine Schlange vor dem Wahllokal steht. Wir haben nun entschieden, all jene noch wählen zu lassen, die sich vor 18 Uhr angestellt haben. Solche Antworten wären aber auch für andere Bundesländer wichtig gewesen, weil es bei allen Wahlen zu solchen Problemen kommt.

Sind Sie froh, dass die OSZE keine Wahlbeobachter nach Berlin schickt?

Bröchler Ganz und gar nicht. Wahlbeobachter hätten bestätigen können, dass wir keine Bananenrepublik sind und Wahlen organisieren können.

Die Aufwandsentschädigung für Wahlhelfer wurde von 60 auf 240 Euro erhöht – was sagt das über unsere Demokratie aus?

Bröchler Ich hatte die Befürchtung, dass wir nicht ausreichend Wahlhelfer finden. Daher diese pragmatische Entscheidung. Immerhin muss man erstmal 42.000 Menschen zusammenbekommen. Nun mussten wir sogar 10.000 Menschen absagen.

Haben Sie derzeit schlaflose Nächte?

Bröchler Nein, das nicht. Aber ich falle abends müde ins Bett. Die Doppelbelastung als Wahlleiter und Hochschullehrer ist extrem hart, ich mache das sieben Tage die Woche. Und eine gewisse Nervosität begleitet mich natürlich.

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