Vom Umfragehoch zur Macht? Warum die Grünen raus aus der Öko-Nische wollen

Berlin · Grün ist derzeit angesagt in der Politik. Das färbt ab. Von der CSU bis zur Linken sprechen alle vom Klimaschutz, umweltpolitische Konzepte werden nachgeschärft. Die CDU schmückte im Netz gar ihre drei Buchstaben mit Gänseblümchen – immerhin nicht mit Sonnenblumen, dem Logo der Grünen.

Zwischen Klimafonds und Kindergrundsicherung: Die Grünen – hier Fraktionschefin Göring-Eckardt – arbeiten an ihrem Profil.

Zwischen Klimafonds und Kindergrundsicherung: Die Grünen – hier Fraktionschefin Göring-Eckardt – arbeiten an ihrem Profil.

Foto: dpa/Soeren Stache

Und was macht die Ökopartei im Umfrage- und Stimmungshoch? Sie stellt ein Konzept gegen Kinderarmut vor. Das ist kein Zufall.

Beim Umwelt- und Klimaschutz trauen die Bürger den Grünen mit Abstand am meisten zu. Ihre Kernkompetenz tragen sie im Namen – und blieben ihr auch treu, als Bienen und Klimawandel gerade nicht der „heiße Scheiß“ waren, wie Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt vor der Bundestagswahl sagte. Das hilft ihnen jetzt, nachdem der Hitze- und Dürresommer vielen Menschen klar gemacht hat, was die Erderhitzung auch für Deutschland bedeuten kann. Mehrere Meinungsforschungsinstitute führen die Grünen zurzeit als bundesweit stärkste Kraft noch vor der Union. Der bayerische Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann fordert für den Fall weiter guter Umfragewerte bereits die Abkehr von der Doppelspitze und die Ernennung eines Kanzlerkandidaten.

Öffentlich heiß gehandelt wird dafür Parteichef Robert Habeck. In einer Emnid-Umfrage sagten 51 Prozent, wenn sie den Kanzler direkt wählen und zwischen Habeck und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer entscheiden könnten, würden sie für Habeck votieren.

Aber einer Partei, die unbedingt regieren will, reicht das Öko-Image nicht – jedenfalls, wenn sie Macht will und nicht nur als „Öko-App“ einem Koalitionspartner zur Mehrheit verhelfen. Wenn der kommissarische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel behauptet, den Grünen sei das Soziale „schnurzegal“, dann müssen die Grünen verhindern, dass potenzielle Wähler ihm das abnehmen. Auch deswegen haben Parteichefin Annalena Baerbock und Göring-Eckardt gerade gemeinsam Pläne für eine Kindergrundsicherung vorgestellt und auf den Euro genau vorgerechnet, welche Familie damit wie viel mehr – oder weniger – auf dem Konto hätte.

„Wir haben programmatisch das volle Sortiment“, sagt Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. Und das sei auch nicht neu. „Was neu ist: Uns wird jetzt anders zugehört.“ Das Führungsduo Baerbock und Habeck schaffe es, „auf eine neue Weise mit sozialen Themen glaubwürdig durchzudringen“. Das muss vor allem der SPD Sorgen machen. Lob für das grüne Konzept gegen Kinderarmut kam unter anderem von der SPD-nahen Awo. Weitere Aufschläge dieser Art werden folgen. Die Grünen sind dabei, Forderungen und Konzepte mit Zahlen zu unterfüttern. Sie wollen auch darüber reden, wie ihre Pläne finanziert werden können. Es ist eine Einladung an skeptische Wähler, die nicht zur Kernklientel gehören, denen Öko an der Wahlurne nicht reicht.

Eine Baustelle der Grünen ist, neben Fragen der Sicherheits- und Wirtschaftspolitik, etwa die Innenpolitik. Sie regieren in neun Ländern in sieben verschiedenen Koalitionen, den Innenminister stellen sie nirgends. Wie der „Spiegel“ berichtet, will die Bundestagsfraktion den „Grünen Polizeikongress“ wiederbeleben. Es wäre keine Überraschung, wenn aus der Berliner Parteizentrale auch dazu bald ein größerer Aufschlag kommt.

Eine Öko-Partei werden die Grünen aber bleiben. So unterschiedlich die Mitglieder seien, Ökologie sei „immer der gemeinsame Nenner“, sagt Parteimanager Kellner. Dass Klimaschutz nicht auf dem aktuellen Niveau der „heiße Scheiß“ bleibt, damit rechnet auch er. Aber es habe sich etwas verändert, die Klimakrise sei angekommen und gehe nicht mehr weg: „Klimaschutz war lange ein Thema für morgen. Jetzt ist es ein Thema für heute.“

Dass Öko Topthema bleibt, zeigt auch die Forderung Göring-Eckardts vom Wochenende – nach einem staatlichen Klimafonds. Weil die Klimakrise eine „Generationenaufgabe“ sei, die schnell „massive Investitionen“ brauche, reichten reguläre Haushaltsmittel nicht mehr aus, sagte die Fraktionschefin der „Bild am Sonntag“. Ein genaues Finanzierungskonzept will die Fraktion demnächst vorlegen.

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