Ursula von der Leyen testet die Stimmung Will sie ein europäisches Jahrzehnt prägen?

Düsseldorf/Brüssel · Mit den Krisen ist die Bedeutung der EU gewachsen. Und damit auch die Rolle von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Längst hat das Ringen um ihre Nachfolge ab 2024 begonnen. Ein bemerkenswerter Auftritt in Düsseldorf legt nahe, dass sie es selbst sein möchte.

Ursula von der Leyen beim Neujahrsempfang der NRW-CDU am Wochenende in Düsseldorf.

Ursula von der Leyen beim Neujahrsempfang der NRW-CDU am Wochenende in Düsseldorf.

Foto: dpa/David Young

Ein Strahlen, ein Händedruck, „schön, Sie wiederzusehen!“ Noch ein Strahlen, noch ein Händedruck, „wir kennen uns ja noch gut!“ Wieder ein Strahlen, wieder ein Händedruck, „ich erinnere mich sehr gut!“ Da ist jemand zurück an diesem Januarsamstag im Düsseldorfer Museum Kunstpalast. Die prominenten wie die nicht so prominenten CDU-Politiker stehen Schlange, um vor Beginn des Neujahrsempfanges der NRW-CDU der Frau aus Brüssel persönlich Guten Tag zu sagen. Ursula von der Leyen, 64, ehemalige CDU-Vizevorsitzende, ehemalige Bundesministerin, amtierende EU-Kommissionspräsidentin. Viele spüren: Sie sind jetzt Zeuge eines inoffiziellen Wahlkampfauftaktes. Zumindest eines bemerkenswerten Tests.

Dabei sind die Wahlen in NRW längst gelaufen, haben NRW-CDU-Chef Wüst als NRW-Ministerpräsident bestätigt. Es gibt auch keinen anderen aktuellen Anlass, nach Düsseldorf zu kommen, weder aus Bundes- noch aus Europa-Sicht. Erst Recht hat es eine EU-Kommissionspräsidentin nicht nötig, die nach ihrer Wahl abgestreiften Ämter, Funktionen und Verbindungen in der CDU durch die Veredelung einer regionalen Parteiveranstaltung wieder zum Klingen zu bringen. Es sei denn... - ja, es sei denn, die in der Europäischen Volkspartei vereinten europäischen Christdemokraten und Konservativen überlegen gerade, ob sie in einem Jahr mit Ursula von der Leyen als Spitzenkandidatin die Europawahlen gewinnen wollen. Oder mit einer anderen. Und genau das tun sie.

Dabei ist es für von der Leyen viel zu früh, ihre Kandidatur-Bereitschaft zu erklären, wenn sie es denn wollte. Sie wäre dann ab sofort mehr Kandidatin, weniger Präsidentin. Jede Initiative, jede Vorlage, jede Intervention würde nicht mehr danach bewertet, ob die Kommission damit zur Lösung von EU-Problemen beiträgt, sondern nur noch, ob es von der Leyen nutzt, persönlich für die Wahlen im Mai 2024 zu punkten. Doch wenn sie die Wiederwahl wollen würde, fiele ihr die Kandidatur nicht automatisch zu. Längst läuft sich eine andere starke Persönlichkeit bei der EVP warm. Auch eine Präsidentin. Die des Europa-Parlamentes, Roberta Metsola.

Den größten Einfluss auf die anstehende Entscheidung hat Manfred Weber, Chef sowohl der EVP-Partei als auch der EVP-Fraktion. Und der hat kurz vor von der Leyens Auftritt in Düsseldorf öffentlich festgestellt, dass die EVP mit „zwei sehr fähigen Frauen“ gut aufgestellt sei und beide „hervorragende Spitzenkandidatinnen“ wären. Das dürfte von der Leyen noch im Kopf klingen, als sie in Düsseldorf aus der Limousine steigt. Wie kommt sie an, hier an der Parteibasis?

Die Beziehungen zwischen von der Leyen und ihrer eigenen Truppe als schwierig zu bezeichnen, dürften viele für untertrieben halten. Ob Kita-Ausbau oder Frauenquote, schon als Familienministerin stand sie immer wieder im Konflikt mit der Unionsfraktion. Und nachdem sie als Verteidigungsministerin der Bundeswehr ein generelles „Haltungsproblem“ unterstellte, hatte sie es sich auch mit „ihren“ Soldatinnen und Soldaten verdorben.

Schon vor dem Eingang zum Kunstmuseum wartet auf sie nun die erste Herausforderung. Das größte Höfesterben durch EU-Politik vor Augen, wollen Landwirte Antworten von der Kommissionspräsidentin. Viele EU-Politiker sind bei ihnen stehen geblieben, haben mit ihnen gesprochen, auch Wüst. Von der Leyen nicht. Sie verliert danach im Saal auch kein einziges Wort zu dem Thema, das vielen aus den ländlichen Regionen Nordrhein-Westfalens unter den Nägeln brennt. Auch das andere Thema, von denen sich die Kommunal- und Regionalpolitiker dringend EU-Perspektiven erhoffen, spricht sie nicht an: die Asyldynamik.

Es ist der typische von-der-Leyen-Stil, angenehme Themen emotional zuzuspitzen, unangenehme wegzulassen. Die Inszenierung beherrscht sie perfekt. Insofern konnte der Kölner Jugendchor St. Stephan ihr keinen größeren Gefallen tun, als ihren ersten Wiederauftritt bei ihrer CDU zunächst mit einem „Hallelujah“ zu beginnen, und dem einen „Happy Day“, einen „glücklichen Tag“, folgen zu lassen. Dennoch fällt es ihr anfangs schwer, vom Amt der Präsidentin zur Perspektive Wahlkämpferin zu wechseln. „Megawatt-hour“ entfährt es ihr, wo „Megawattstunde“ besser verständlich gewesen wäre. Doch dann fasst sie Fuß, schwört das Publikum darauf ein, an der Seite der Ukraine zu stehen, um „ohne Wenn und Aber“ damit auch die eigene Freiheit zu verteidigen.

Sie bringt Persönliches unter, erzählt, wie sie als Teenager die Ölkrise erlebte, wie sie nun nicht mehr nur als Mutter spricht - „das sage ich inzwischen auch als Großmutter“. Sie schafft es, alle Europa-Abgeordneten der NRW-CDU lobend in der Rede unterzubringen. Ganz offensichtlich ist das ein weiterer Versuch, sich auch perspektivisch Rückhalt zu verschaffen. Denn um als Kommissionspräsidentin weitermachen und damit ein ganzes Jahrzehnt europäische Politik prägen zu können, braucht sie nicht nur die Stimmen der Staats- und Regierungschefs. Sondern auch die der Abgeordneten. Beim letzten Mal hat es nur haarscharf gereicht.

Möglicherweise steckt das auch hinter ihrer Wendung beim Rechtsstaatsmechanismus. Monatelang ließ sie die Verstöße in Polen und Ungarn laufen. Erst als das Parlament sie deshalb verklagen wollte, packte sie zu und ließ Milliarden EU-Gelder zurückhalten. In ihrer Zwischenbilanz finden sich eine Reihe schräger Vorgänge. Ein Sanktionspaket brachte sie ungeschickt auf den Weg, verprellte Mitgliedsländer. Zur Aufklärung der Impfstoffbeschaffung mauert sie bei SMS-Kontakten. Und Brüsseler EU-Korrespondenten sind nicht gut darauf zu sprechen, wenn sie mehr Glanz und Entschlossenheit via Twitter suggeriert, als sich kritischen Fragen zu stellen.

Trotzdem ist sie weit aus dem Schatten ihres Vaters Ernst Albrecht herausgetreten, der 14 Jahre Niedersachsen regierte. Allerdings hat der zweimal bei Wahlen die absolute Mehrheit geholt. Von der Leyen war außer im Lokalen nie Spitzenkandidatin, hatte auch als Direktkandidatin für den Bundestag keinen Erfolg. Das Applausometer nach der Rede in Düsseldorf sieht das vorerst anders: Fast eine Minute beklatschen die Menschen sie. Nicht wenige sagen, sie seien vor allem ihretwegen gekommen. Wüst bekommt nur halb so lange Applaus. Danach dankt er ihr für die „starke“ und „kraftvolle Rede“ und bekundet, „es tut gut“, dass sie in Brüssel diese „wichtige Arbeit in schwierigen Zeiten“ leiste. Er dürfte da bereits wissen, was danach inoffiziell verbreitet wird: dass sich im CDU-Präsidium Parteichef Friedrich Merz für sie als Spitzenkandidatin ausgesprochen haben soll.

Dann schenkt Wüst ihr eine Bilder-Collage von der Verhüllung des Arc de Triomphe durch Christo und Jean-Claude. Die Verhüllung sei durch Stoff aus NRW geschehen, fügt Wüst hinzu. Die Enthüllung der Kandidaturpläne der Ursula von der Leyen erfolgt noch nicht. Aber es gibt nun Stoff aus NRW dazu.

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