Viel Schatten und wenig Licht

Saarbrücken · Wie die "Väter" der Rente mit 67 die schwarz-roten Vorhaben beurteilen.

Während die Wirtschaft kein gutes Haar an den Rentenplänen der künftigen schwarz-roten Koalition lässt, herrscht bei vielen Älteren Freude und Genugtuung. Doch was sagen eigentlich die geistigen "Väter" der Rente mit 67 zu den Vorhaben? Unsere Zeitung fragte bei Bert Rürup, heute Chef eines unabhängigen Forschungsinstituts, und dem Demographie-Experten Bernd Raffelhüschen nach.

Im Auftrag der rot-grünen Bundesregierung hatte Rürup 2002 eine nach ihm benannte Expertenkommission zur Zukunft der Sozialsysteme geleitet. Raffelhüschen war dort Mitglied. Eine ihrer Empfehlungen war die später beschlossene, schrittweise Heraufsetzung des Rentenalters um zwei Jahre. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass Rürup und Raffelhüschen besonders den Frühverrentungsplänen kritisch gegenüber stehen. Laut Koalitionsvereinbarung sollen langjährig Versicherte ab Juli 2014 schon mit 63 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen können. Bis 2032 soll diese Altergrenze schrittweise auf 65 angehoben werden. Das ist für Rürup aber kein Trost. "Eigentlich müsste man angesichts der steigenden Lebenserwartung die Lebensarbeitszeit verlängern und nicht verkürzen", so der Experte. Schon die geltende Regelung einer abschlagsfreien Rente mit 65 koste knapp 0,5 Beitragspunkte, also derzeit etwa fünf Milliarden Euro, rechnete Rürup vor. Für den neuen Plan reicht die Kostenschätzung bis zu 4,4 Milliarden Euro jährlich zusätzlich. Dabei würden von den weiteren Ausnahmen "in erster Linie die männlichen Industriearbeiter begünstigt". Denn derzeit kämen nur fünf Prozent der Frauen auf 45 und mehr Beitragsjahre, aber ein Drittel der männlichen Zugangsrentner, argumentierte Rürup. Raffelhüschen wurde noch deutlicher: "Das ist subventionierter Vorruhestand und damit ein Sündenfall sondergleichen".

Uneins sind sich beide Fachleute dagegen bei der "solidarischen Lebensleistungsrente", die bis 2017 für langjährige Geringverdiener eingeführt werden soll. Dadurch können Mini-Renten auf bis 850 Euro aufgestockt werden. "Dies ist eine vernünftige Antwort auf das erst kürzlich von der OECD angesprochene Problem eines langfristig steigenden Risikos von Altersarmut in Deutschland", meinte Rürup. Bereits in 27 von 34 OECD-Staaten werden die Renten für langjährige Geringverdiener angehoben. "Meines Erachtens sollte jemand, der sich ein Arbeitsleben lang bemüht hat, nicht hilfebedürftig zu sein, es auch im Alter nicht werden und besser gestellt sein als jemand, der nur wenig gearbeitet hat." Raffelhüschen hielt dagegen: Wer arm sei, bekomme bei Bedürftigkeit eine Grundsicherung, egal, ob alt oder jung. Dieser Gleichbehandlungsgrundsatz bei der Grundsicherung werde nun aufgegeben, indem eine Gruppe höhere Leistungen erhalte.

Bleibt als dritter großer Brocken die Mütterrente. Demnach sollen alle Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, ab Juli 2014 einen zusätzlichen Entgeltpunkt bekommen. Das wären im Osten aktuell 25,74 Euro extra und im Westen 28,14. Gegenüber jüngeren Müttern ziehen die älteren damit noch nicht gleich. Aber der Abstand verringert sich. Für Rürup ist diese Neuregelung eine glatte "Fehlentscheidung". Denn bis 1992 habe es die Rente nach Mindesteinkommen gegeben. "Insbesondere Frauen, die wegen der Erziehungsleistungen nicht Vollzeit arbeiten konnten, wird, wenn sie sie 25 oder 35 Beitragsjahre haben, die Rente aufgestockt, als hätten sie 75 Prozent des jeweiligen Durchschnittslohns verdient", erläuterte Rürup. Wenn man das aber schon mache, dann müssten die Mittel aus dem Bundeshaushalt kommen und nicht aus Beiträgen. Dem pflichtete auch Raffelhüschen bei: Er frage sich, wie Mütter reagierten, wenn sie 28 Euro mehr bekämen, ihnen aber gleichzeitig mitgeteilt werde, dafür müssten die Beiträge ihre Kinder steigen. "Die zukünftigen Beitragszahler werden die dafür notwendigen Beitragserhöhungen nicht akzeptieren", warnte Reffelhüschen.

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