Verfassungsgericht entscheidet über Paragraf 217 Gibt es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben?

Karlsruhe · Seit 2015 ist geschäftsmäßige Suizidhilfe untersagt. Nun entscheidet das Bundesverfassungsgericht über den neuen Paragrafen 217.

  Wird das Leiden zu groß, sehen einige Schwerkranke einen Ausweg in tödlichen Spritzen oder Tabletten.

Wird das Leiden zu groß, sehen einige Schwerkranke einen Ausweg in tödlichen Spritzen oder Tabletten.

Foto: picture alliance/dpa Picture-Alliance / CHROMORANGE / Christian Ohde

Viele Menschen haben Angst vor einem langsamen und qualvollen Sterben – manche so sehr, dass sie selbst bestimmen möchten, wann die rechte Zeit gekommen ist für den Tod. Mit ihrem Sterbewunsch stehen sie im Moment allerdings sehr allein da: Seit es den neuen Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch gibt, ist ein fachgerecht begleiteter Suizid so gut wie unmöglich geworden. Ist das mit dem Grundgesetz vereinbar? Am Mittwoch verkündet das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zu dieser Frage.

Als der Gesetzgeber im Dezember 2015 die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ zur Straftat machte, wollte er professionellen Sterbehelfern das Handwerk legen. Wie etwa dem Hamburger Verein Sterbehilfe Deutschland. 

Die Bundestagsabgeordneten entschieden über vier Vorschläge. Es dürfe nicht so weit kommen, dass die Suizidhilfe als normale Behandlungsoption erscheine, hieß es in dem Entwurf, der sich durchsetzte. Das könnte Alten und Kranken, die niemandem zur Last fallen wollen, ein fatales Signal senden. Also steht heute im Strafgesetzbuch: „Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Für Horst L. hat Paragraf 217 eine Tür zugeschlagen. Der Krebskranke verlas 2019 vor dem Verfassungsgericht eine persönliche Erklärung. L. klagte, weil er Mitglied bei Sterbehilfe Deutschland ist. 2015 hatte er vom Verein „grünes Licht“, er hätte nur ein Zeichen geben müssen. Mit dem Verbot ist das hinfällig. Damit sei die Gelassenheit dahin – aus dem Wissen, notfalls die Reißleine ziehen zu können, habe er Kraft zum Durchhalten geschöpft. „Ich finde es empörend, wenn andere mir sagen: Du musst leben, erdulden und hinnehmen“, sagte er 2018 der Süddeutschen Zeitung.

Paragraf 217 spaltet auch die Ärzteschaft. Denn „geschäftsmäßig“ heißt nicht, dass Geld im Spiel sein muss. Es bedeutet juristisch so viel wie „auf Wiederholung angelegt“.

Unter Palliativmedizinern weckt das die Angst, sich strafbar zu machen. Wenn sie Schwerstkranken Opiate zur Linderung in potenziell tödlichen Dosen mit nach Hause geben. In besonders krassen Fällen, in denen die Palliativmedizin an Grenzen stößt, würden manche Ärzte gerne auch mehr tun. Er wünsche sich die Freiheit, als letzte Option ein Mittel zur Verfügung zu stellen, sagte der Stuttgarter Arzt Dietmar Beck, der mit in Karlsruhe klagt.

Die Ärztekammer warnt dagegen vor einer Öffnung. „Es ist nicht weit von der oralen Tablettengabe zur qualitätsgesicherten, intravenösen, sicheren Gabe tödlich wirkender Medikamente“, sagte der damalige Präsident Frank Ulrich Montgomery auf dem Ärztetag 2019. „Und von dort ist es dann nur noch ein sehr kleiner Schritt zur Euthanasie.“

Doch einiges deutet darauf hin, dass Paragraf 217 so nicht in der Welt bleibt. Den Richtern scheint eine Art Beratungslösung vorzuschweben, wie beim Schwangerschaftsabbruch, mit strengsten Sicherungen. Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle sprach in der Verhandlung von einem Grundrecht auf Selbsttötung. Zur derzeitigen Rechtslage sagte er: „Sie werden im Augenblick wahrscheinlich keinen Arzt finden, der Sie dabei unterstützt.“

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