Debatte um Sexkaufverbot Gehört Prostitution verboten? Was dafür spricht – und was dagegen
Berlin · Die einen bezeichnen Deutschland als „Bordell Europas“, die anderen warnen eindringlich vor einer Verschärfung der Gesetze, die die Prostitution regeln. Warum sich Politiker für das Nordische Modell starkmachen, wie Verbände zu einer möglichen Veränderung stehen und was das Familienministerium zu der Debatte sagt.
Sollte käuflicher Sex in Deutschland verboten werden? Die Diskussion darüber, wie Prostitution in der EU und Deutschland geregelt werden soll, ist wieder im Gange. Das EU-Parlament hat sich nun für einen restriktiveren Ansatz ausgesprochen. Die wichtigsten Antworten dazu.
Wie sieht die Situation in Deutschland aus?
Prostitution ist in Deutschland erlaubt, wenn sie freiwillig und von Erwachsenen ausgeübt wird. Das seit 2002 geltende Prostitutionsgesetz regelt Prostitution als normales Gewerbe. Das hat die rot-grüne Regierung damals beschlossen, um die rechtliche und soziale Lage von Prostituierten zu verbessern. 2017 trat zudem das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft, das Menschen vor Ausbeutung und Zwang schützen soll. Es sieht unter anderem vor, dass Prostituierte ihre Tätigkeit anmelden müssen. Zum Jahresende 2022 waren etwas mehr als 28.000 Prostituierte gemeldet. Es ist aber davon auszugehen, dass die tatsächliche Zahl wesentlich höher liegt. Einige Schätzungen gehen von mehr als 100.000 Prostituierten im Land aus.
Was ist nun neu?
Das Europäische Parlament hat unlängst europaweite Leitlinien gefordert, um Frauen in der Prostitution besser zu schützen. Ein Bericht des Ausschusses für Frauenrechte und Gleichstellung der Geschlechter empfiehlt den Mitgliedsstaaten unter anderem, Freier zu bestrafen. Damit lehnt sich der Vorschlag an das sogenannte Nordische Modell an. 234 Abgeordnete stimmten für den Bericht, 175 waren dagegen. Die Mitgliedsstaaten sind rechtlich aber nicht dazu verpflichtet, auf die Empfehlungen zu reagieren.
Was steckt hinter dem Nordischen Modell?
Das Nordische Modell bekämpft nicht das Angebot, sondern die Nachfrage nach Dienstleistungen von Prostituierten durch ein Sexkaufverbot. Das heißt, dass zwar die Kunden von Prostituierten kriminalisiert werden, nicht aber die Prostituierten selbst. Anwendung findet das Modell unter anderem in Schweden, Norwegen, Irland und Frankreich.
Wer ist in Deutschland für eine Verschärfung?
CSU-Politikerin Dorothee Bär ist für eine Abkehr von der umfassenden Legalisierung. In der „Bild“-Zeitung forderte sie unlängst ein Sexkaufverbot. „Deutschland hat sich zum Bordell Europas entwickelt“, sagte sie. Auch die Frauen Union fordert ein „strafbewehrtes Sexkaufverbot für Freier bei gleichzeitiger Straffreiheit für Prostituierte“, wie die CDU-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Frauen Union, Annette Widmann-Mauz, unserer Redaktion sagte. Mehr als 90 Prozent der Prostituierten seien Gewalt und Erniedrigung durch Menschenhändler, Zuhälter und Freier ausgesetzt, betonte Widmann-Mauz. Ähnliche Stimmen kommen aus der SPD, etwa von der Abgeordneten Leni Breymaier.
Wer ist dagegen?
Heidi Reichinnek, frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, sagt, dass das Nordische Modell nicht zu einer Eindämmung der Prostitution führe. „Viel eher hat sich gezeigt, dass sexuelle Gewalt zunahm und die Frauen in die Illegalität getrieben wurden“, sagte Reichinnek auf Anfrage unserer Redaktion. Für die Prostituierten müssten stattdessen freiwillige Beratungs-, Umschulungs- und Fortbildungsangebote ausgebaut und die Gesundheitsversorgung verbessert werden.
Wie blicken Branchenverbände auf die Debatte?
Laut dem Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen (BSD) verkenne ein Sexkaufverbot die Realität. „Sex findet nicht nur in der Ehe oder beim One-Night-Stand, sondern auch in Bordellen statt. Dafür gibt es einen Bedarf“, sagte Stephanie Klee vom BSD auf Anfrage unserer Redaktion. Das Nordische Modell würde Sexarbeiterinnen nicht schützen, ihnen aber Rechte, Respekt und Schutz nehmen. „Die Sexarbeitsbranche braucht Gleichstellung mit anderen Gewerben, Rechte und Toleranz“, betonte Klee.
Was sagt die Wissenschaft?
Hier zeigen sich keine eindeutigen Antworten. Eine Studie der Universität Erfurt war diesen Sommer zu dem Schluss gekommen, dass die deutschen Regelungen für das Prostitutionsgewerbe nicht mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Laut der Untersuchung hätten sie zu mehr Menschenhandel und organisierter Kriminalität geführt. In Schweden gibt es Hinweise darauf, dass die Straßenprostitution mit Einführung des Nordischen Modells zurückgegangen sei und sich nicht in den Untergrund verlagert hätte. Allerdings weisen die Autoren verschiedener Studien darauf hin, dass ihre Forschungsarbeiten mit methodischen Schwierigkeiten behaftet seien.
Wie geht es nun weiter?
Vermutlich erst einmal so wie bislang. Ob die Ziele des Prostituiertenschutzgesetzes erreicht wurden, werde derzeit durch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen geprüft, sagte ein Sprecher des Familienministeriums unserer Redaktion. Die Ergebnisse würden dem Bundestag 2025 vorgelegt. „Anhand dieser Ergebnisse wird sich seriös und datenbasiert bewerten lassen, in welchem Umfang die Ziele des Prostituiertenschutzgesetz erreicht wurden und ob gegebenenfalls weiterer Regelungsbedarf besteht“, sagte er. Um Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung zu bekämpfen, möchte die Regierung in dieser Legislatur einen entsprechenden Aktionsplan verabschieden.