Unter besonderer Beobachtung
Steuerschätzung könnte Spendierfreude von Union und SPD dämpfen
"Tagen mit Weitblick" - so wirbt das direkt an der Weser-Mündung gelegene Conference Center in Bremerhaven um Kundschaft. Das Motto könnte nicht besser gewählt sein, wenn sich dort heute der erlauchte Kreis der Steuerschätzer trifft. Auf ihrer dreitätigen Sitzung wollen die Experten immerhin bis ins Jahr 2018 blicken. Dabei steht ihre Vorhersage über die staatlichen Einnahmen diesmal unter ganz besonderer Beobachtung. Schließlich geht es auch um die finanzpolitischen Spielräume einer künftigen großen Koalition.
Der so genannte Arbeitskreis Steuerschätzung besteht aus Fachleuten der zuständigen Bundes- und Landesministerien, der führenden Wirtschaftsinstitute, des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der kommunalen Spitzenverbände sowie Abgesandten der Bundesbank und des Statistischen Bundesamtes. Das Gremium trifft sich jedes Jahr im Mai und im Spätherbst, um ein Einnahme-Szenario für das laufende Jahr und die Folgejahre zu entwerfen. Dabei werden die zu erwartenden Steuereinnahmen anhand volkswirtschaftlicher Kennziffern ermittelt. Basis dafür ist ebenfalls eine Prognose, nämlich das erwartete Wirtschaftswachstum. 2014 soll es bei 1,7 Prozent liegen. Die Mitglieder des Arbeitskreises erstellen zunächst unabhängig voneinander ihre Expertisen. Und zwar für jede einzelne Steuerart. Auf dieser Grundlage werden dann die jeweiligen Anteile der Steuereinnahmen für Bund, Länder und Kommunen festgelegt.
Nun tagen die Schätzer bis zum Donnerstag zwar streng vertraulich, aber sie gehen mit Vorlagen in die Gespräche, aus denen zumindest schon ein paar Zahlen durchgesickert sind. Demnach könnten Bund, Länder und Gemeinden in diesem Jahr mit Steuereinnahmen von insgesamt 620 Milliarden Euro rechnen. Das wären fünf Milliarden Euro mehr als noch im Mai geschätzt und ein neuer Rekord. Im Jahr 2018 soll das Steueraufkommen dann sogar bei 730 Milliarden Euro liegen. Das wären 130 Milliarden mehr als im Jahr 2012 tatsächlich erzielt.
Auf den ersten Blick ließe sich damit aus dem Vollen schöpfen. Das Problem ist jedoch, dass die steigenden Einnahmen im Kern bereits fest eingeplant sind. Und mögliche Extra-Ausgaben im Zuge der Koalitionsverhandlungen sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Die aktuelle Steuerschätzung für sich genommen ist deshalb wenig aussagkräftig. Was zählt, ist der Vergleich zu früheren Prognosen. So hatte die Mai-Schätzung zwar auch einen Anstieg der Einnahmen ergeben. Gegenüber der Prognose vom Herbst des Vorjahres fiel sie für den Bund aber um 1,8 Milliarden Euro niedriger aus. Ursache war hier vor allem die zwischenzeitliche Anhebung des Grundfreibetrages. Sie entlastet die Bürger, schmälert aber das Steueraufkommen für den Staat.
Der CDU-Haushaltsexperte Norbert Bahrthle ist sich sicher, dass die Steuerschätzung für die weiteren Koalitionsverhandlungen "eher einen dämpfenden Charakter haben" werde. "Alle Beteiligten müssen sich mit Ausgaben zügeln, denn die zu erwartenden Mehreinnahmen fallen nicht so hoch aus, wie viele meinen", sagte er unserer Zeitung. Gemessen an den bisherigen Erwartungen sei mittelfristig nur mit ein bis drei Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr zu rechnen. "Damit kann man keine großen Sprünge machen", so Barthle. Der SPD-Finanzfachmann Joachim Poß bemängelte, dass die Union weiter eine Antwort darauf schuldig bleibe, wie sie ihre geplanten Mehrausgaben etwa bei Infrastruktur oder Bildung finanzieren wolle. Die SPD plädiert für Steuererhöhungen bei den Reichen, die die Union bisher aber strikt ausschließt.