"Union und SPD sind sich viel zu ähnlich"

Der ehemalige Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi, kritisiert seine Nachfolgerin Sahra Wagenknecht und erläutert, warum die Union besser in die Opposition gehen sollte. Mit Gysi sprach unser Korrespondent Stefan Vetter.

Ihre Amtsnachfolgerin Sahra Wagenknecht hat Donald Trump mit der Bemerkung geadelt, der habe wirtschaftspolitisch mehr drauf als Angela Merkel. Brechen jetzt auch in der Linken alle Populismus-Dämme?
Gysi: Nein. Es ist ein berechtigtes Bedürfnis, populär zu sein. Aber man darf die Dinge nicht unzulässig vereinfachen.

Das heißt, Sie würden sich den Satz nicht zu Eigen machen?
Gysi: Ich hätte ihn so nicht benutzt, aber sie wollte zurecht darauf verweisen, dass die Bundesregierung zu wenig investiert. Wir haben aber nicht den geringsten Grund, Trump zu würdigen. Er ist kulturlos, rassistisch und interessiert sich nicht für Außenpolitik.

Wie populistisch darf linke Politik sein?
Gysi: Es ist legitim, schwierige Sachverhalte zu übersetzen. Beispiel: Ich kann von der Veräußerungserlösgewinnsteuer reden, die Kapitalgesellschaften nicht zu bezahlen haben, aber Inhaber geführte Unternehmen. Ich kann aber auch sagen, dass die Deutsche Bank bei Verkäufen ungeschoren bleibt, der Bäckermeister aber die Steuer zahlen muss. Populistisch wäre für mich, wenn ich Antworten gebe, von denen ich weiß, dass sie zwar eingängig, aber eben falsch sind. Das geht nicht.

Nach Lesart der Linken steht Deutschland kurz vor dem sozialen Zusammenbruch. Dagegen sagt die Kanzlerin, den Deutschen gehe es heute so gut wie nie. Sind die einen so ignorant wie die andere?
Gysi: Das mit dem Zusammenbruch wird so nicht gesagt und wäre auch verfehlt. Aber, dass es den Leuten so gut wie nie gehe, ganz genauso. Deutschland hat den größten Niedriglohnsektor in Europa. Rot-Grün hat die prekäre Beschäftigung vorangetrieben, wie das noch unter Helmut Kohl undenkbar gewesen wäre. Noch nie gab es so viele Abgehängte, und die wählen doch zum Teil AfD, damit sich die Scheinwerfer wieder auf sie richten. Das Problem dabei ist, dass sich Union und SPD viel zu ähnlich sind.

Und was schließen Sie daraus?
Gysi: Die Union muss in die Opposition, um wieder eine konservative Partei zu werden und damit einen Teil der potenziellen AfD-Wähler zu integrieren. Und wir müssen versuchen, auf die SPD so Druck zu machen, dass sie wieder so sozialdemokratisch wird wie unter Willy Brandt.

Nicht nur die SPD ringt um einen Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, auch Ihre Partei. Wer sollte für die Linke ins Rennen gehen?
Gysi: Ich möchte, dass sich die beiden Parteivorsitzenden und die beiden Fraktionsvorsitzenden rasch auf eine Lösung verständigen. Da sie unterschiedlicher Meinung sind, muss jede und jeder nachgeben. Anders wird man sich nicht verständigen. Man kann es nicht nur von einer Seite verlangen.

2013 bildeten Sie mit weiteren Parteifreunden ein achtköpfiges Spitzenteam bei den Linken, über das viele den Kopf geschüttelt haben. Da wäre ein Spitzenquartett ja schon ein Fortschritt...
Gysi: Ob vier, zwei, oder eine herausgestellte Persönlichkeit - Hauptsache, sie verständigen sich. Alle müssen aufeinander zugehen. Bei den acht blieb in den Medien auch nur einer übrig. Das sollte ebenfalls bedacht werden.

Mit welchem Zugpferd der SPD wäre Rot-Rot-Grün eher möglich - Martin Schulz oder Sigmar Gabriel?
Gysi: Es gibt europapolitische Erfahrungen mit Schulz, und es gibt bundespolitische Erfahrungen mit Gabriel, die nicht unbedingt für ein solches Bündnis sprechen. Die entscheidende Frage bleibt, wie wir die Rechtsentwicklung in Deutschland stoppen.

Warum haben SPD, Grüne und Linke eigentlich keinen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten auf die Reihe gebracht, um ein rot-rot-grünes Zeichen zu setzen?
Gysi: Das liegt einfach dran, dass Gabriel meinte, die Union für seinen Personalvorschlag gewinnen zu müssen. Rot-Rot-Grün wird dadurch gewiss nicht befördert. Sicher ist Frank-Walter Steinmeier nicht unwählbar. Aber unser Kandidat, Christoph Butterwegge , ist die bessere Alternative. Auch, weil er nicht dem politischen Establishment angehört.

Sie kandidieren 2017 erneut für den Bundestag. Würden Sie ins Bundeskabinett gehen, falls es eine entsprechende Mehrheit gibt?
Gysi: (lacht) Nein, ich bin jetzt 68, das habe ich nicht mehr nötig. Aber wenn es wirklich zu einer rot-rot-grünen Regierungsbildung käme, ist doch mein unerbetener und störender Ratschlag wichtig, oder?

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