Corona-Politik von Bund und Ländern Ungebremste vierte Welle: Welche Schritte nun gefordert werden

Berlin · Die vierte Corona-Welle rollt weiter ungebremst durchs Land. Und die Rufe nach schärferen, bundeseinheitlichen Maßnahmen werden lauter. Dabei ist ein Streit darüber entbrannt, ob die für 9. Dezember geplante Ministerpräsidentenkonferenz vorgezogen werden soll. Die Länder sind sich uneins. Nur von einem kommen glasklare Appelle.

 Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und RKI-Präsident Lothar H. Wieler appellierten am Freitag, Kontakte weiter zu reduzieren. 

Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und RKI-Präsident Lothar H. Wieler appellierten am Freitag, Kontakte weiter zu reduzieren. 

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

 Die vierte Corona-Welle spitzt sich täglich weiter zu. Die Zahlen der Neuinfektionen erreichen neue Höhen, die es Deutschland seit Beginn der Pandemie noch nicht gab. Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach am Freitag von einer „nationalen Notlage“. Die Lage sei „dramatisch ernst“, sagte Spahn in Berlin. Von höchster politischer Ebene in Bund und Ländern nehmen die Forderungen nach schärferen Maßnahmen zur Eindämmung dieser Welle zu. Zugleich aber dauern auch die gegenseitigen politischen Schuldzuweisungen weiter an.

Spahn forderte deutlich mehr Kontaktbeschränkungen und konsequente 2Gplus-Regelungen - also Zugänge nur für Geimpfte und von Covid-19 Genesene, die zusätzlich einen aktuellen negativen Tests vorweisen müssen. Der Gesundheitsminister hält zudem „mindestens“ die Absage von Großveranstaltungen und Feiern. „Die Zahl der Kontakte muss runter, deutlich runter. Es hilft alles nichts“, appellierte Spahn.

Auch von den Grünen waren am Freitag Signale in Richtung schärferer Maßnahmen zu hören. „Es war und ist völlig klar, dass die beschlossenen Änderungen im Infektionsschutzgesetz allenfalls ein erster Schritt sein können“, sagte der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen unserer Redaktion. Es sei bisher nicht gelungen, die Lage unter Kontrolle zu bringen. „Insofern sind weitreichendere Maßnahmen erforderlich“, so der Grünen-Politiker. Bei der anstehenden Evaluation der bisherigen Beschlüsse, auf die sich Bund und Länder geeinigt hatten,  müssen laut Dahmen für die hart betroffenen Regionen wie in Bayern und Sachsen „noch flächendeckendere und weitreichende Maßnahmen“ beschlossen werden müssen. Dahmen plädierte dabei für ein regional angepasstes Vorgehen.

Aus SPD-Kreisen war am Freitag zu hören, dass weitere bundesweite Schritte zur Eindämmung der vierten Welle zeitnah geplant seien. Was dieser Aufschlag konkret umfassen sollen, war zunächst noch offen.

Aus der Opposition kam scharfe Kritik am Corona-Kurs der künftigen Regierung. „Die Ampel muss entschlossen handeln, sonst laufen wir in einen neuen Lockdown mit Schulschließungen hinein. Verantwortung fürs Land geht vor Postengeschachere – das muss die Reihenfolge sein“, sagte der Fraktionsvorsitzende der Linken, Dietmar Bartsch, unserer Redaktion.

Bisher ist vorgesehen, dass Bund und Länder am 9. Dezember erneut beraten, die aktuell geltenden Maßnahmen evaluieren und gegebenenfalls nachschärfen. Doch die Rufe werden lauter, diese Ministerpräsidentenkonferenz vorzuziehen. Spahn betonte am Freitag, das Beste wäre ein Treffen schon in den nächsten Tagen. „Zu viele auch in politischer Verantwortung oder in künftiger Verantwortung scheinen zu denken: Wird schon irgendwie gut gehen. Wird es aber nicht, jedenfalls nicht, von alleine“, mahnte Spahn.

Unter den Bundesländern hingegen herrscht große Uneinigkeit darüber, ob eine vorgezogene Ministerpräsidentenkonferenz notwendig ist. Dabei hängen die Positionen in dieser Frage nicht von der Partei ab, die in den jeweiligen Ländern regiert. Hamburg, Berlin, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz etwa sehen keine Notwendigkeit für ein Vorziehen. Laut Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) gebe das Infektionsschutzgesetz den Ländern ausreichend Instrumente, um Maßnahmen umzusetzen. Die Regierungschefs aus Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und dem Saarland hingegen plädieren für ein rasches Treffen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte eine bundeseinheitliche Corona-Notbremse und „einheitliche Regelungen mit regionalen Möglichkeiten“. Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz Hendrik Wüst (CDU) unternahm den Versuch einer Vermittlung zwischen den Ländern. „Wenn es die Bereitschaft gibt, gemeinsam entschlossen zu handeln, dann wird es an keinem Termin mangeln, und ich werde zügig einladen“, sagte Nordrhein-Westfalens Regierungschef am Freitag.

Generell wird damit gerechnet, dass sich die besonders dramatische Lage im Süden und Osten auf weitere Teile des Landes ausweiten wird. Spahn sagte, die Welle werde „weiter gen Westen und Norden ziehen“. Besonders eindringliche Worte fand der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler: „Ich erwarte jetzt von den Entscheidern, dass sie alle Maßnahmen einleiten, um gemeinsam die Fallzahlen herunter zu bringen.“ Alle Kontakte müssten so weit wie möglich reduziert werden. „Mit jedem Kontakt, den wir nicht haben, mit jedem Treffen, auf das wir verzichten, mit jeder Menschenmenge, die wir meiden, helfen wir dabei, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen“, sagte Wieler am Freitag. Man stehe vor einer Wahl: Man könne den Weg wählen, der ins Chaos und zu einem schlechten Ende führe. Oder den, der das Gesundheitssystem entlaste, vielleicht ein friedliches Weihnachtsfest ermögliche und viel mehr Menschen am Weihnachtstisch sitzen lasse. „Lassen Sie unserer Verantwortung für das Allgemeinwohl nachkommen und gemeinsam mit allen Kräften daran arbeiten, dass wir diese Pandemie beenden, als ob unser Leben davon abhinge“, appellierte Wieler.

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