Ukraine-Hilfe gestoppt Orbáns Geschenk an Putin

Brüssel · Bei den EU-Finanzministern verhinderte Ungarn mit seinem Veto eine 18-Milliarden-Hilfe für die Ukraine. Nun versucht das Land, beim EU-Gipfel nächste Woche den Stopp von EU-Geldern für Ungarn auszuhebeln.

Viktor Orbán bei seinem Eintreffen beim EU-Westbalkan-Gipfel am Dienstag in Tirana.

Viktor Orbán bei seinem Eintreffen beim EU-Westbalkan-Gipfel am Dienstag in Tirana.

Foto: AP/Franc Zhurda

Macht er es? Wagt er es wirklich? Als die 27 EU-Finanzminister am Dienstag zum offiziellen Treffen im Brüsseler Ratsgebäude eintreffen, legen sie das Offizielle erst einmal beiseite und versuchen, sich inoffiziell bei einem vorgeschalteten Frühstück ein Bild über die verfahrene Situation zu verschaffen. Da ist die seit Monaten beschlussfertige Einführung einer Mindestbesteuerung internationaler Unternehmen in der EU, die nur noch den Haken des Finanzministerrates benötigt. Und da ist die dringend hinzugekommene Soforthilfe für die Ukraine. Beides blockiert Ungarn, weil es sein Veto nur aufgeben will, wenn die anderen ihrerseits die Blockade der Finanzmittel für Ungarn fallen lassen.

Es läge nahe, hinter den Kulissen weiter zu verhandeln. Und tatsächlich: Die Tagesordnung zu entschlacken und in einem weiteren Sondertreffen nächste oder übernächste Woche dann eine Lösung für alle Konfliktpunkte zu beschließen, ist eine Option. Sozusagen gesichtswahrend für alle. Doch inzwischen sind bei 26 EU-Mitgliedstaaten die Nerven am Ende. Schon bei den Sanktionen fühlten sie sich erpresst, als Ungarn mit seinem Veto eine zügige Verständigung auf mehr Druck auf Russland verhinderte, bis ungarische Sonderwünsche durchgedrückt waren. Nämlich dergestalt, dass sich alle 27 einig sind, wonach wesentliche Einschränkungen bei russischen Energielieferungen für Ungarn nicht gelten.

Und nun 18 Milliarden EU-Mittel für die Ukraine. Eine Überlebenshilfe für den angegriffenen Partner, die unbedingt binnen weniger Wochen zur Verfügung stehen muss und soll. Die 26 Nicht-Ungarn am Tisch wollen es wissen, ob Ungarns Regierungschef Viktor Orbán sich tatsächlich vor laufenden Kameras sozusagen der unterlassenen Hilfeleistung für die Ukraine überführen lässt. Das Projekt bleibt auf der Tagesordnung. Orbán sitzt zwar wenig später nicht im Finanzministerrat, aber sein Minister Mihály Varga hat keinen Spielraum. Und so gibt er im live übertragenen Teil der Sitzung zu Protokoll, dass er die Ukraine-Hilfe nicht unterstützen könne. „Viktor Orbán hätte Putin heute kein schöneres Geschenk machen können“, meint Grünen-Rechtsstaatsexperte Daniel Freund umgehend. Orbán missbrauche das Veto, „wie keiner vor ihm“. Und Grünen-Haushälter Rasmus Andresen schäumt: „Dass Viktor Orbán die Ukraine in Geiselhaft für seine korrupte Politik nimmt, ist an Schäbigkeit nicht zu überbieten.“

Längst haben die anderen einen Plan-B ausarbeitet. Er ist komplizierter, dauert länger, ist teurer und bedeutet, dass die 26 ein Verfahren verfolgen, wonach sie eben in 26facher nationaler Kooperation die Ukraine-Hilfe auf den Weg bringen. Es ist ein punktueller „Hunxit“, ein Hungarian Exit, also ein ungarischer Austritt aus der gemeinsamen EU-Politik. „Das verantwortet Ungarn“, erläutert Finanzminister Christian Lindner. 26 der 27 Minister seien für die Hilfe gewesen, denn die Ukraine dürfe den Krieg nicht verlieren. Nun müsse schnell eine andere Lösung gefunden werden.

Ob es dazu jedoch wirklich kommt, wird sich in einer Woche erweisen. „Orbans Vetopolitik zielt offensichtlich darauf ab, einen Gipfel-Showdown zu erzwingen, um im Kreise der Staats- und Regierungschefs die EU-Mittelkürzungen für Ungarn auf ein Minimum zu drücken“, analysiert Moritz Körner, FDP-Europa-Abgeordneter, der am Rechtsstaatsmechanismus gegen Ungarn mitgewirkt hat. Dieser folgt dem Prinzip Geld für Rechtsstaat. Nach immer intensiveren Forderungen des Europa-Parlamentes hatte auch die Kommission entschieden, 7,5 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt Ungarn vorerst nicht auszuzahlen, weil das Land demokratische Rechte abgebaut und keine ausreichenden Vorkehrungen gegen Missbrauch von EU-Geldern getroffen habe. Weitere 5,8 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds sollten ebenfalls nicht fließen, weil die bisher beschlossenen Anti-Korruptions-Maßnahmen nach Ansicht der Kommission nicht ausreichten.

Doch die EU-Entscheidungen fallen im Zusammenwirken von drei Institutionen. Neben dem Parlament und der Kommission ist das der Rat der 27 Mitgliedstaaten. In der nächsten Woche treten sogar die Staats- und Regierungschefs selbst zusammen. Und da könnte Orbán seine Chance wittern. Schon gibt es Stimmen, die eine nochmalige Bewertung der Kommission haben wollen, damit diese noch weitere Dezember-Beschlüsse des ungarischen Parlamentes mit einbeziehen könne. Die Finanzminister kürzen jedenfalls am Dienstag ihre Tagesordnung, denn eigentlich hatten sie auch über den Stopp der Mittel für Ungarn entscheiden sollen. Dafür ist eine qualifizierte Mehrheit nötig: Mindestens 15 Staaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Ob diese wackelt, wird somit am Dienstag noch nicht ausgetestet. Die Minister haben bis zum 19. Dezember Zeit, zu einer Entscheidung zu kommen. Vieles hängt nun davon ab, ob die Staats- und Regierungschefs am 15. und 16. Dezember eine andere Lösung finden.

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