Streit um Corona-Hilfsfonds Ein erster Durchbruch im Finanzstreit

Brüssel · Die 27 EU-Staaten haben sich am Montag über die Höhe der Zuschüsse bei den geplanten Corona-Hilfen geeinigt. Ein erster Schritt – doch viele Streitpunkte sind weiterhin ungelöst.

Ein fast leerer Pressebereich am Tagungsort des EU-Gipfels in Brüssel. Hinter verschlossenen Türen wurde auch am Montag zäh verhandelt.

Ein fast leerer Pressebereich am Tagungsort des EU-Gipfels in Brüssel. Hinter verschlossenen Türen wurde auch am Montag zäh verhandelt.

Foto: AP/John Thys

Am Tag vier eines EU-Gipfels freute man sich auch über Erfolge, die eigentlich gar keine sind, weil sie aus Kürzungen bestehen. Die 27 Staats- und Regierungschefs waren gerade erst wieder aus ihren Hauptstädten nach Brüssel zurückgekehrt, da präsentierte EU-Ratspräsident Charles Michel einen Kompromiss. Zumindest einem zentralen Punkt stimmten alle eiligst zu: Das Coronavirus-Aufbau-Programm der EU wird wie geplant 750 Milliarden Euro schwer. Dieses Geld nimmt die Gemeinschaft am Finanzmarkt auf, alle stehen als Bürgen bereit. Das hat es noch nie gegeben. Von der Gesamtsumme werden aber nicht 500, sondern nur 390 Milliarden Euro an Zuschüssen in die besonders betroffenen Mitgliedstaaten fließen – 312,5 Milliarden direkt, der Rest über diverse EU-Programme. 360 Milliarden stehen als Darlehen zum Abruf bereit. Das Merkel-Macron-Papier war vom Tisch. Unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Zahlen hagelte es Kritik von allen Seiten. Denn die „Sparsamen Fünf“ hatten nicht nur die Zuschüsse gekürzt, sondern auch gleichzeitig horrende Rabatte beim nächsten Etat durchgesetzt. Österreich verdoppelte beispielsweise seine Gutschrift von 287 auf 565 Millionen Euro für sieben Jahre. Sollte „Frugal Five“ dann doch korrekter mit „Die geizigen Fünf“ übersetzt werden? Und noch wichtiger: Wie lange würde dieser Kompromiss halten?

Es war diese Frage, die nicht nur am Anfang der vergangenen Nacht stand, sondern die die Gemeinschaft noch lange beschäftigen dürfte. Denn als der Abend begann, drohte zunächst neuer Streit. Der ungarische Premier Viktor Orbán und Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki drohten mit der sofortigen Abreise, falls die Mehrheit die Vergabe von EU-Mitteln aus dem Haushalt an die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze knüpfen sollte. Zwar hatte Michel zuvor einen Kompromiss vorgeschlagen, den lehnten die beiden allerdings strikt ab. Ihre Abreise würde den Gipfel platzen lassen und auch den gerade gefundenen Deal zum Aufbau-Fonds wieder zunichte machen. Und so stand wieder einmal die Frage im Raum, ob die übrigen Staats- und Regierungschefs tatsächlich bereit sind, um der frischen Pandemie-Hilfen willen die Forderung nach Achtung der demokratischen Grundwerte fallenzulassen?

Bei dieser Frage geht es gar nicht nur um die Gewichtsverhältnisse in der Gipfelrunde. Denn nach den Staatenlenkern beugen sich die Abgeordneten des EU-Parlamentes über die Vereinbarungen insbesondere zum siebenjährigen Haushaltsrahmen. Schließlich hat das Abgeordnetenhaus bei Etatfragen ein Veto-Recht. Und die Volksvertreter hatten längst klargemacht: Der finanzielle Druck auf Mitgliedstaaten, die gegen die Rechtsstaatlichkeit verstoßen, muss erhöht werden. Allzu große Gesprächsbereitschaft durften die Staats- und Regierungschefs wohl auch nicht erwarten, denn die Parlamentarier sind schon vor dem Beginn der Beratungen über etliche Inhalte der Chefs zutiefst verärgert.

Schließlich lief am Abend alles auf einen Haushaltsrahmen für die sieben Jahre nach 2021 zu, der zwar 1,1 Billionen Euro umfassen soll – aber das wäre weniger als in der ablaufenden Finanzperiode. Und auch diese Summe würde schmerzhafte Kürzungen nötig machen. Dabei geht es vor allem um jene Gelder, die die aus Sicht der Mitgliedstaaten so wichtigen Fördertöpfe für die Infrastruktur, den Agrarbereich, die Migration oder ein neues europäisches Kurzarbeitergeld betreffen. Außerdem kritisierten Parlamentarier in ersten Stellungnahmen, dass die Staats- und Regierungschefs offenbar die Entscheidungen zur Gegenfinanzierung später treffen wollen. Dabei geht es um neue Eigenmittel für die Union beispielsweise aus einer Plastikabgabe, aus der Ausweitung des Emissionshandelssystem oder einer Digitalsteuer. Solche Einnahmen sind unverzichtbar, weil ansonsten die Rückzahlungen des 750-Milliarden-Darlehens für den Aufbau-Fonds ab 2023 zusätzlich auf dem Haushalt lasten.

Diese Unklarheiten sind mehr als nur ein Stolperstein. Die EU braucht rasch einen neuen Haushalt, damit bis zum Jahreswechsel alle Gesetze verabschiedet werden können. Sonst steht die Gemeinschaft Anfang 2021 nur mit einem Ersatz-Haushalt da, in dem etwa für die Abfederung einer Trennung von Großbritannien ohne Handelsabkommen keine Gelder zur Verfügung stehen.

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