Bundesverfassungsgericht urteilt am Mittwoch Gibt es das Recht auf selbstbestimmtes Sterben?

Karlsruhe · Seit 2015 ist geschäftsmäßige Suizidhilfe in Deutschland untersagt. Am Mittwoch entscheidet das Bundesverfassungsgericht, ob es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben gibt. Für die schwerkranken Kläger wird es höchste Zeit.

 Das "Sterbehilfe-Set", das in belgischen Apotheken erhältlich ist. Archivfoto.

Das "Sterbehilfe-Set", das in belgischen Apotheken erhältlich ist. Archivfoto.

Foto: dpa/Etienne Ansotte

Viele Menschen haben Angst vor einem langsamen und qualvollen Sterben – manche so sehr, dass sie selbst bestimmen möchten, wann die rechte Zeit gekommen ist für den Tod. Mit ihrem Sterbewunsch stehen sie im Moment allerdings sehr allein da: Seit es den neuen Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch gibt, ist ein fachgerecht begleiteter Suizid so gut wie unmöglich geworden. Ist das mit dem Grundgesetz vereinbar? Am Mittwoch (26. Februar) verkündet das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zu einer Frage, auf die es beileibe keine einfachen Antworten gibt. (Az. 2 BvR 2347/15 u.a.)

DIE POLITIK UND DIE ANGST VOR DEM DAMMBRUCH

Als der Gesetzgeber im Dezember 2015 die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ zur Straftat macht, will er professionellen Sterbehelfern das Handwerk legen. Wie dem Hamburger Verein Sterbehilfe Deutschland von Ex-Justizsenator Roger Kusch. Oder dem inzwischen gestorbenen Berliner Arzt Uwe-Christian Arnold, der nach eigenen Angaben mehrere hundert Menschen beim Suizid begleitet hat.

Die Bundestagsabgeordneten entscheiden ohne Fraktionszwang über vier Vorschläge. Es dürfe nicht so weit kommen, dass die Suizidhilfe als normale Behandlungsoption erscheine, heißt es in dem Entwurf, der sich durchsetzt. Das könnte Alten und Kranken, die niemandem zur Last fallen wollen, ein fatales Signal senden. „Wir wollen nicht, dass sich Menschen unter Druck gesetzt fühlen“, sagt Mitinitiator Michael Brand (CDU) in der Karlsruher Verhandlung im April 2019.

Also steht heute im Strafgesetzbuch: „Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

DIE KRANKEN UND DER WETTLAUF MIT DEM TOD

Für Horst L. hat Paragraf 217 eine Tür zugeschlagen. Der Medienrummel um das Verfahren ist dem Krebskranken zu viel, er will privat bleiben. Aber vor dem Verfassungsgericht verliest er 2019 eine persönliche Erklärung. L. klagt, weil er Mitglied bei Sterbehilfe Deutschland ist. 2015 hatte er vom Verein „grünes Licht“, er hätte nur ein Zeichen geben müssen. Mit dem Verbot ist das hinfällig. Damit sei die Gelassenheit dahin – aus dem Wissen, notfalls die Reißleine ziehen zu können, habe er Kraft zum Durchhalten geschöpft. „Ich finde es empörend, wenn andere mir sagen: Du musst leben, erdulden und hinnehmen“, hat er 2018 der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt.

Helmut Feldmann hat Vater und Schwester an der Lungenkrankheit COPD qualvoll sterben sehen. Nun ist er selbst erkrankt – und hatte vorgesorgt. Aber die Mitgliedschaft im Sterbehilfeverein ist seit 2015 nichts mehr wert. „Ich akzeptiere nicht, dass ein paar Hundert Parlamentarier darüber entscheiden, wie ich zu sterben habe“, sagt er vor dem Urteil dem „Spiegel“. „Ich kämpfe bis zum Letzten.“

Für andere Kläger kommt das Urteil zu spät. Sie haben während der langen Verfahrensdauer den Wettlauf mit dem Tod verloren.

DIE ÄRZTE UND DER DRAHTSEILAKT DES STERBENLASSENS

Paragraf 217 spaltet auch die Ärzteschaft. Denn „geschäftsmäßig“ heißt nicht, dass Geld im Spiel sein muss. Es bedeutet im Juristendeutsch so viel wie „auf Wiederholung angelegt“.

Unter Palliativmedizinern weckt das die Angst, sich strafbar zu machen. Wenn sie Schwerstkranken Opiate zur Linderung in potenziell tödlichen Dosen mit nach Hause geben. Oder beim „Sterbefasten“ Menschen begleiten, die nichts mehr essen und trinken wollen. In besonders krassen Fällen, in denen die Palliativmedizin an Grenzen stößt, würden manche Ärzte gerne auch mehr tun. Er wünsche sich die Freiheit, als letzte Option ein Mittel zur Verfügung zu stellen, sagt der Stuttgarter Arzt Dietmar Beck, der mit in Karlsruhe klagt.

Die Bundesärztekammer warnt vor einer Öffnung. „Es ist nicht weit von der oralen Tablettengabe zur qualitätsgesicherten, intravenösen, sicheren Gabe tödlich wirkender Medikamente“, sagt der damalige Präsident Frank Ulrich Montgomery auf dem Ärztetag 2019. „Und von dort ist es dann nur noch ein sehr kleiner Schritt zur Euthanasie.“

DIE STERBEHELFER UND DAS GESCHÄFT MIT DER ANGST

Dem Verein Sterbehilfe Deutschland, der ebenfalls in Karlsruhe klagt, ist das Warten zu lang geworden. Seit 2018 ist der Verein von Zürich aus über seinen Schweizer Ableger StHD wieder aktiv. Angehörige und „Nahestehende“ stellt Paragraf 217 nämlich straffrei.

Also unterstützt StHD zahlende Mitglieder aus Deutschland nun über „Angehörige oder Nahestehende ..., die bereit sind, beim Suizid zu assistieren“. Vorbereitet wird laut Kusch alles in der Schweiz. Die tödliche Substanz stellt der Angehörige dann in Deutschland ans Bett.

Und der deutsche Verein steht vor der Urteilsverkündung quasi in den Startlöchern. Unmittelbar im Anschluss will Kusch bei einer Pressekonferenz in Karlsruhe „erläutern, ob und wie wir unser Sterbehilfe-Angebot in Deutschland ausweiten können“.

Von 2010 bis zum Verbot hat der Verein 254 Suizide begleitet – je nach Status: Vollmitglieder zahlen 200 Euro jährlich, müssen aber drei Jahre Wartefrist in Kauf nehmen. „Mitgliedschaft S“ mit einer Einmalzahlung von 7000 Euro beinhaltet die zügige Bearbeitung.

DIE RICHTER UND DAS ENDE ALLEN WARTENS

Einiges deutet darauf hin, dass Paragraf 217 so nicht in der Welt bleibt. Zumindest zur Verhandlung scheint den Richtern eine Art Beratungslösung vorzuschweben, wie beim Schwangerschaftsabbruch, mit strengsten Sicherungen. Präsident Andreas Voßkuhle spricht damals von einem Grundrecht auf Selbsttötung. Aber: „Sie werden im Augenblick wahrscheinlich keinen Arzt finden, der Sie dabei unterstützt.“

Das Urteil könnte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in Zugzwang bringen. 2017 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass der Staat einem unheilbar Kranken „im extremen Einzelfall“ ein Betäubungsmittel nicht verwehren darf, das diesem „eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht“. Aber auf Weisung des Ministeriums lehnt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte seither sämtliche Anträge ab – wegen Paragraf 217.

(dpa)
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