Auch der Mörder von Hanau war in einem Schützenverein aktiv Sportschützen und die Bluttat von Hanau

Hanau/Wiesbaden/Kassel · Gut 1,3 Millionen Menschen sind hierzulande in Schützenvereinen aktiv. Sobald einer aus ihren Reihen zum Mörder wird, stehen alle im Fokus.

 Wie der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke war auch der Täter von Hanau in einem Schützenverein aktiv. Das wirft Fragen auf. Hier trainiert ein Sportschütze mit einem Revolver.

Wie der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke war auch der Täter von Hanau in einem Schützenverein aktiv. Das wirft Fragen auf. Hier trainiert ein Sportschütze mit einem Revolver.

Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Der rassistische und wohl psychisch kranke Täter kommt aus dem eigenen Schützenverein. Reiner Weidemann weiß, was das für Folgen hat. Er ist Vorsitzender des Schützenclubs 1952 Sandershausen. In dem nordhessischen Verein trainierte Stephan E., der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Dass nun am Mittwoch in Hanau erneut ein Sportschütze zum Mörder wurde und neun Menschen mit ausländischen Wurzeln erschoss, nimmt auch Weidemann mit. Alles werde wieder aufgewühlt, sagt er.

Wenn Sportschützen töten, stehen ihre Vereine und der Schießsport im Fokus der Öffentlichkeit. So war es nach dem Mord an Lübcke im Juni, nach den Schüssen auf einen Eritreer in Wächtersbach im Juli, so ist es nun nach Hanau. Der Todesschütze trainierte im Schützenverein Diana Bergen-Enkheim in Frankfurt.

Die Vereine versuchen offen mit solchen Vorfällen umzugehen. Weidemann stand nach der Festnahme des mutmaßlichen Lübcke-Mörders vor dem Tor seines Schützenhauses und sprach mit der Presse. Damals wie heute beteuert er: „Wir achten sehr auf Sicherheit und anständige Leute.“ Um so härter treffe es einen, wenn ein Sportschütze zum Mörder werde. „Da fragt man sich, ob man was übersehen hat.“

Das Schützenwesen hat in Deutschland Tradition. Es steht auf der Unesco-Liste für immaterielles Kulturerbe. Gut 1,3 Millionen Mitglieder hat der Deutsche Schützenbund (DSB). Sobald einer der ihren zum Mörder wird, laufen die Debatten reflexartig ab: Erst kommen Rufe nach Verschärfungen des Waffenrechts, dann die Erwiderung der Schützen, dass Deutschland bereits eines der strengsten Waffengesetze habe.

Für die Initiative „Keine Mordwaffen als Sportwaffen“ ist der DSB Teil einer Waffenlobby, die Gefahren bagatellisiere und wirksame Waffenrechtsverschärfungen verhindere. Die Bewegung entstand nach dem Amoklauf von Winnenden und fordert ein Verbot tödlicher Sportwaffen.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat bereits eine neue Überprüfung des Waffenrechts angekündigt. Das ist gerade erst verschärft worden. So müssen die Behörden nun beim Verfassungsschutz nachfragen, bevor sie Waffenerlaubnisse vergeben.

Kritikern geht das nicht weit genug. „Tödliche Schusswaffen gehören nicht in die Wohnungen von Privatpersonen“, fordert die Bürgerrechtsbewegung „Humanistische Union Marburg“. Auch der frühere Grünen-Chef Jürgen Trittin schlägt nun vor, dass Sportschützen ihre Waffen nicht mehr mit nach Hause nehmen dürfen, sondern im Verein einschließen müssen. Seine Fraktion im Bundestag regt in einem Aktionsplan auch an, dass Munition nur noch gelagert werden darf, wo auch geschossen werden darf.

Der Deutsche Schützenbund kennt solche Forderungen – und hält dagegen. „Das ist quasi ein Lock­angebot für jeden, der durch einen Einbruch an Waffen herankommen will“, sagt Robert Garmeister, DSB-Leiter für Recht und Verbandsentwicklung. Bisher gibt es beide Varianten – die Aufbewahrung zuhause und im Vereinsheim. Ob sich Waffen in einem Schützenhaus befänden, wisse der Einbrecher also nicht.

Garmeister betont, dass Verbrechen wie in Hanau auch Schützen erschüttern. „Wir sind zutiefst schockiert, unsere Anteilnahme gilt den Familien und Freunden der Opfer. Als Sportschützen macht es uns besonders betroffen, dass der mutmaßliche Täter ein Mitglied unserer Vereine war.“ Angesichts einer solchen Tat die Interessen als Sportschützen angemessen zu vertreten, „fällt sicherlich sehr schwer“. Dass Emotion, Trauer, Wut und Fassungslosigkeit vorherrschten und kaum Raum für eine sachliche, inhaltliche Argumentation ließen, sei verständlich. Doch weitere Restriktionen seien nicht sinnvoll: „Gegen menschliches Fehlverhalten und kriminelle Energie helfen die besten Gesetze nicht“, sagt Garmeister. Gleichzeitig würden weitere Beschränkungen zusätzliche bürokratische und finanzielle Hürden aufbauen, die die Zukunft des Schießsports stark gefährdeten.

Wer in Deutschland eine Waffe besitzen und damit in einem Verein schießen will, wird umfangreich durchleuchtet. Sportschützen erwerben ihre Waffen mit einer Waffenbesitzkarte. Die bekommt man durch einen Antrag bei den Waffenbehörden der Landkreise und kreisfreien Städte. Volljährigkeit, Zuverlässigkeit, Sachkunde und ein Bedürfnis – dazu zählt Schießsport – sind Voraussetzung.

Bis eine Waffenbesitzkarte genehmigt wird, können mehrere Monate vergehen. Die Behörden holen dafür Stellungnahmen des Landeskriminalamtes, Auskünfte aus dem Bundeszentralregister und einem Register der Staatsanwaltschaften ein. Selbst Jugendstrafen werden überprüft.

Bei Angaben zu körperlichen und geistigen Mängeln wird ein Stück weit dem Antragssteller vertraut. Eine medizinische Untersuchung ohne begründeten Verdacht sei unüblich, sagt beispielsweise John Mewes, Sprecher des Main-Kinzig-Kreises: „Wenn dagegen aus Datenbanken hervorgeht, dass man schon zweimal mit Alkohol am Steuer erwischt wurde, dann könnte man auf die Idee kommen, dass es ein Problem gibt.“ Dann könne ein Fachmann eingeschaltet werden.

Nach erfolgreichem Antrag wird das Kontrollnetz dünner. Alle drei Jahre werden Zuverlässigkeit und Eignung geprüft – in der Regel durch Behördenabfragen. Der Bedarf für eine Waffe muss alle fünf Jahre nachgewiesen werden, bei Sportschützen reicht nach zehn Jahren ein Beleg der Vereins-Mitgliedschaft. „Wenn alle Ampeln auf grün sind, steht man wenig bis selten im Fokus“, erklärt Kreissprecher Mewes. Üblich seien verdachtsunabhängige Kontrollen, die stichprobenartig gemacht würden. Probleme, dass jemand die Kontrolleure nicht ins Haus lässt, sind unüblich – auch weil sich diese meist anmelden.

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