SPD-Auftakt in Saarbrücken Eine alte Partei fasst neuen Mut

Saarbrücken · Am Mittwochabend stellen sich die Kandidaten für den SPD-Vorsitz erstmals der Basis. In Saarbrücken gibt es viele Fragen, starke Auftritte und eine Überraschung.

 Gute Laune bei den Genossen: Das Kandidaten-Duo Klara Geywitz (r.) und Olaf Scholz beim Plausch im Publikum. Der Bundesfinanzminister ist der hochrangigste Bewerber um den SPD-Vorsitz.

Gute Laune bei den Genossen: Das Kandidaten-Duo Klara Geywitz (r.) und Olaf Scholz beim Plausch im Publikum. Der Bundesfinanzminister ist der hochrangigste Bewerber um den SPD-Vorsitz.

Foto: dpa/Oliver Dietze

Es ist wie beim Kartenspiel Memory. Viele Paare zur Auswahl und diese eine Frage: Was passt und gehört zusammen? Wer überzeugt, wer kann die Basis mitreißen? Schon kompliziert genug, wenn es nur wenige Paare sind. An diesem Mittwoch sind es gleich acht – und ein Einzelkämpfer, der trotzdem mitspielen darf. Ergibt 17 Bewerber. Die SPD-Mitglieder müssen sich an diesem heißen Nachmittag also ganz schön konzentrieren, um auf ihrem Kandidatentableau nicht den Überblick zu verlieren. Wer ist wer? Und wer steht für was?

Klarheit sollen 45 Minuten auf der Bühne der Saarbrücker Congresshalle bringen. Schon um kurz nach 17 Uhr füllt sich der Saal. Die Organisatoren mussten umdisponieren, aus den 300 Mitgliedern, die sich zunächst für den Auftakt der 23 Regionalkonferenzen angemeldet hatten, sind mal so eben 600 geworden. Einen Favoriten gibt es für viele im Saal nicht, alles offen, sie sind hier, um zuzuhören. So wie Lennart Friedrich aus Merzig, seit sechs Jahren SPD-Mitglied. Er nennt die große Koalition ein „Zweckbündnis“, will sie aber nicht verdammen. Auch der 17-jährige Dustin aus Nalbach ist unschlüssig, hat noch keinen Favoriten. Der 15-jährige Florian, der neben ihm sitzt, nickt. Was die beiden Teenager am meisten umtreibt? Die Pflege. „In der Sozialpolitik läuft einiges schief“, sagt Dustin. Inge Blattner ist sehr deutlich gegen eine weitere Zusammenarbeit mit der CDU. Seit 50 Jahren ist die 85-Jährige SPD-Mitglied. „Die SPD hat gearbeitet, und andere haben die Lorbeeren eingesteckt.“ Sie wirkt gelöst, glaubt an die Chancen der Erneuerung.

Und die sollen die neuen Parteivorsitzenden bringen. Der Reihe nach stellen sich die Bewerber vor. Saskia Esken (58) und Norbert Walter-Borjans (66) machen den Anfang. Sie ist Mitglied des Innenausschusses des Bundestags, er Ex-Finanzminister von Nordrhein-Westfalen. Esken wirbt leidenschaftlich für ihren Partner, für „Nowabo“, wie sie ihn liebevoll in der Partei nennen. Er wiederum nennt sie die „starke Frau an meiner Seite“, sie sei standhaft und sozial, Digitalisierung sei ihr Ding. Esken plädiert für moderne Daseinsvorsorge. Mehr Bildung, Sicherheit, sicheres Wohnen, schnelles Internet auf dem Land. Die Kommunen bräuchten finanzielle Handlungsfähigkeit. Die SPD müsse „ein Jahrzehnt der kommunalen Investitionen“ ausrufen und dürfe nicht an der Schwarzen Null scheitern. Walter-Borjans beschwört eine Zukunft mit gesicherter Arbeit. Klimapolitik sei Verteilungspolitik, faire Lösungen seien „mit diesem Koalitionspartner nicht umzusetzen“.

Dann Duo zwei: Karl Lauterbach (56) und Nina Scheer (47). Er SPD-Fraktionsvize, sie Bundestagsabgeordnete aus Schleswig-Holstein. Sie wollen beide raus aus der Groko. Das wird deutlich. Lauterbach spricht professorenhaft. Analysiert die Kluft zwischen Arm und Reich, verhaspelt sich zu Beginn, erklärt, warum die Renten immer kleiner werden. 16 Jahre in der Groko hätten die SPD nichts Geringeres als ihre Glaubwürdigkeit gekostet. Dafür bekommt er ordentlich Applaus. Er sei mal Groko-Befürworter gewesen, doch er sei inzwischen bekehrt. Seine Partnerin Scheer will nicht mehr hören, dass die SPD „nicht grüner als die Grünen“ sein könne. „Wir sind das Original“, ruft sie den Mitgliedern zu. Die Energiewende sei eine Chance. Die SPD sollte die „Speerspitze dieser Bewegung“ werden.

Auch Karl-Heinz Brunner (66), Mitglied des Verteidigungsausschusses im Bundestag, redet Klartext. Als Einzelkandidat kann er die fünf Minuten voll ausschöpfen. Er appelliert an seine Partei, die „Wirklichkeit zu erkennen“. Wie viele andere Kandidaten betont er das soziale Profil. Wenig überraschend. Anders der Auftritt von Alexander Ahrens (53) und Simone Lange (42). Nachdem die beiden ihre Positionen klarmachen (Hartz IV sei ein Trauma, klare Kante gegen die AfD), kündigt Lange, Oberbürgermeisterin von Flensburg, plötzlich an: „Wir schließen uns dem Team von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken an.“ Erstaunen und Irritation im Publikum. Man wolle aber trotzdem an den weiteren Regionalkonferenzen teilnehmen. Ein kleiner Paukenschlag. Boris Pistorius (59) und Petra Köpping (61) betonen den Teamgeist. Er Innenminister in Niedersachsen, sie Integrationsministerin in Sachsen, beide wissen: Es geht nur mit Geschlossenheit.

Dafür plädieren auch Christina Kampmann (38) und Michael Roth (48). Sie Ex-Familienministerin von NRW und jüngste Kandidatin, er Staatsminister im Auswärtigen Amt. Kampmann spricht kämpferisch, betont den Aufbruch. Keine Schwarze Null mehr. „Wir brauchen mehr Investitionen.“ Sie sei der SPD beigetreten, weil sie überall Armut vor ihrer Haustür gesehen habe. Auch aus Roth spricht die Leidenschaft. Er beschwört den Zusammenhalt in der SPD und Europa. Klare Kante gegen Autoritarismus. „Unsere Antwort auf Donald Trump sind die Vereinigten Staaten von Europa.“ Der Applaus ist laut und lang.

Schließlich sprechen Klara Geywitz (43) und Olaf Scholz (61). Sie Politologin aus Brandenburg, er Bundesfinanzminister, der einzige Kandidat der ersten Reihe. Geywitz betont, dass die SPD eine „ökologische Industriepolitik“ brauche, Ökologie sei eine Riesenchance. Die Hauptbotschaft: Umweltschutz geht auch ohne Arbeitsplatzverlust. „Bitte, Olaf“, gibt sie weiter. Dann erlebt man einen Bundesfinanzminister, der leidenschaftlich spricht wie selten. Seit seinem 17. Lebensjahr sei er in der SPD. Die SPD müsse wieder zur Partei werden, die den Sozialstaat verteidigt. Der Beifall ist groß, aber den mit Abstand längsten Applaus ernten Gesine Schwan (76) und Ralf Stegner (59), sie Politologin, er stellvertretender SPD-Parteichef. Stegner lobt seine Partei. „Die Nachrufe passen nicht zu uns.“ Die SPD müsse wieder zeigen, wofür sie stehe. Starke Gewerkschaften, Bürgerversicherung, keine Bildung über Gebühren, höhere Einkommenssteuer, mehr Demokratie auf allen Ebenen, sozialverträgliche Energiewende. Schwan gießt etwas Wasser in den Wein, redet weniger optimistisch. Aber: Debatten wie diese seien wichtig: „Wir brauchen eine geistige Erneuerung.“ Betont das Team, das kommt offensichtlich gut an.

  SPD-Landeschefin Anke Rehlinger im Gespräch mit dem kommissarischen SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel (M.) und dem Duo Geywitz/Scholz.

SPD-Landeschefin Anke Rehlinger im Gespräch mit dem kommissarischen SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel (M.) und dem Duo Geywitz/Scholz.

Foto: BeckerBredel
 Foto-Termin im Foyer der Congresshalle: Am Nachmittag starteten alle 17 Kandidaten für den SPD-Vorsitz in Saarbrücken ins Rennen. Am Abend zog dann das Duo Simone Lange/Alexander Ahrens seine Bewerbung zurück.

Foto-Termin im Foyer der Congresshalle: Am Nachmittag starteten alle 17 Kandidaten für den SPD-Vorsitz in Saarbrücken ins Rennen. Am Abend zog dann das Duo Simone Lange/Alexander Ahrens seine Bewerbung zurück.

Foto: dpa/Uwe Anspach

Abschließend sprechen Hilde Mattheis (64) und Dierk Hirschel (49). Auch sie betonen die Partei, die sie zurückgewinnen wollen: die der sozialen Gerechtigkeit. Am Freitag können die Kandidaten ihre Anliegen bei der nächsten Regionalkonferenz in Hannover weiter bekräftigen. Dann bleiben noch 21 – genug Zeit zu überzeugen.

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