Was in Thüringen passierte, ist nicht beispiellos Polit-Tricksereien gibt es nicht erst seit Erfurt

Berlin · Was bei der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen passierte, ist nicht beispiellos. Aufregung bei Regierungsbildungen hat die Republik schon öfter erlebt – und noch ganz andere Sachen.

 Peter Harry Carstensen (CDU) ist der lachende Gewinner der Ministerpräsidentenwahl in Schleswig-Holstein im März 2005. Wegen eines Abweichlers aus den eigenen Reihen, der bis heute unbekannt ist, zieht die bisherige Regierungschefin Heide Simonis (SPD, hinten) den Kürzeren.

Peter Harry Carstensen (CDU) ist der lachende Gewinner der Ministerpräsidentenwahl in Schleswig-Holstein im März 2005. Wegen eines Abweichlers aus den eigenen Reihen, der bis heute unbekannt ist, zieht die bisherige Regierungschefin Heide Simonis (SPD, hinten) den Kürzeren.

Foto: dpa/dpaweb/A3417 Ulrich Perrey

Tricksereien im Parlament gefällig? Da muss man nicht erst nach Erfurt gucken, wo die AfD vergangene Woche nur zum Schein einen eigenen Ministerpräsidentenkandidaten aufstellte.

1972, Misstrauensantrag im Bundestag gegen Bundeskanzler Willy Brandt (SPD). Die Union ist sich sicher, dass sie gewinnt, ihr Fraktionschef Rainer Barzel (CDU) bereitet sich schon auf die Amtsübernahme vor. Denn es gibt Überläufer aus SPD und FDP. Was Barzel nicht weiß: Es gibt auch Überläufer in die andere Richtung. Und die Abstimmung ist geheim. Wie man sehr viel später erfährt, ist sie auch gekauft. Von der SPD? Von der Stasi? Für beides gibt es Hinweise. Jedenfalls misslingt der Wechsel, Brandt bleibt.

2005 in Schleswig-Holstein geht Ähnliches zu Lasten der SPD aus. Die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Heide Simonis hat nach der Landtagswahl eine Koalition mit einer hauchdünnen Mehrheit zusammengebastelt. Doch bei der Ministerpräsidentenwahl schlägt der „Heide-Mörder“ zu. Ein Abweichler aus den eigenen Reihen. Vier Mal tritt Simonis an, vier Mal reicht es nicht. Bis CDU-Herausforderer Peter Harry Carstensen gewählt wird. Weil der Abweichler bis heute anonym ist, wird nie bekannt, welche Motive, Gelder oder Versprechungen ihn angetrieben haben.

Aufregung bei Regierungsbildungen gab es schon oft. Was wurde Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) von der CDU und sogar von der eigenen SPD-Führung in Bonn 1994 beschimpft, weil er sich im Landtag von Sachsen-Anhalt von den Linken tolerieren ließ. „Rote Socken“ war da noch das Geringste. Und welche Proteste gab es Ende der 80er Jahre in Hessen und Berlin, als dort „Tabubrüche“ stattfanden: Koalitionen der SPD mit – Gott bewahre – den Grünen! Umgekehrt wurde der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust (CDU) bundesweit massiv vom linken Lager angefeindet, weil er im Jahr 2001 mit der Partei des Rechtspopulisten Ronald Schill eine Koalition einging. Und die FDP erlebte einen ähnlichen Shitstorm wie jetzt auch schon einmal: 1982, als sie unter einem Vorwand und ohne Neuwahlen im Bund die Pferde wechselte: Von der SPD zur CDU als Koalitionspartner, von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl als Kanzler.

Auch in der Abteilung „Schmutzige Tricks“ sind die Trophäensammlungen der Bundestagsparteien umfangreich. Ganz oben wieder Schleswig-Holstein, wo CDU-Ministerpräsident Uwe Barschel 1987 über seinen Medienreferenten im Wahlkampf üble Behauptungen gegen seinen Herausforderer Björn Engholm (SPD) lancieren ließ. Aids, Steuerprobleme und so. Als das bekannt wurde, verlor Barschel Wahl und Amt. Später unter ungeklärten Umständen in einer Genfer Badewanne auch sein Leben. Nachfolger Engholm machte auf verfolgte Unschuld. Als herauskam, dass er viel früher von den Machenschaften gewusst hatte, musste auch er abdanken.

Das war das bisher Schmutzigste auf Landesebene in Deutschland. Auf Bundesebene war es wohl die Spendenaffäre der CDU unter Helmut Kohl. Millionen aus schwarzen Kassen für den Kanzler und für die Hessen-CDU, das hat dem Ruf der Union im Jahr 2000 schwer geschadet. Dagegen sind die illegalen Parteispenden der AfD fast Peanuts.

In Erfurt wirkt es, als seien den Parteien taktische Spielchen um die Macht wichtiger als das Bild, das sie nach außen abgeben. Bis heute gibt es ja keine Lösung für das Patt im Thüringer Parlament. Doch auch das ist nicht neu. Die Bildung der jetzt amtierenden Bundesregierung dauerte geschlagene sechs Monate nach der letzten Bundestagswahl, so weit ist Thüringen (vier Monate) noch lange nicht. Und über ein neues, vom Bundesverfassungsgericht schon 2008 verlangtes gerechtes und verständliches Wahlrecht können sich die Abgeordneten in Berlin schon seit über zehn Jahren nicht einigen.

 Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Uwe Baschel (CDU, vorn) verlor 1987 Wahl und Amt, weil er seinen Herausforderer Björn Engholm (SPD) bespitzeln ließ, und dann im Wahlkampf eine Schmutzkampagne gegen ihn startete. Später wurde Barschel tot in der Badewanne eines Genfer Hotels gefunden. Die Umstände sind bis heute ungeklärt.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Uwe Baschel (CDU, vorn) verlor 1987 Wahl und Amt, weil er seinen Herausforderer Björn Engholm (SPD) bespitzeln ließ, und dann im Wahlkampf eine Schmutzkampagne gegen ihn startete. Später wurde Barschel tot in der Badewanne eines Genfer Hotels gefunden. Die Umstände sind bis heute ungeklärt.

Foto: picture-alliance/ dpa/dpa Picture-Alliance / dpa
     Die Parteispendenaffäre unter Helmut Kohl um millionenschwere schwarze Kassen war bisher wohl der schmutzigste Politik-Skandal auf Bundesebene. Hier sucht der Alt-Kanzler am 25. Januar 2001 in einer Pause des Untersuchungsausschusses zu der Affäre nach Kleingeld für einen Kaffee.   Foto: Peer Grimm/pa

Die Parteispendenaffäre unter Helmut Kohl um millionenschwere schwarze Kassen war bisher wohl der schmutzigste Politik-Skandal auf Bundesebene. Hier sucht der Alt-Kanzler am 25. Januar 2001 in einer Pause des Untersuchungsausschusses zu der Affäre nach Kleingeld für einen Kaffee. Foto: Peer Grimm/pa

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Es ist also vieles schon mal da gewesen. Freilich, eines ist anders: Am rechten Rand lauert jetzt eine Kraft, die jeden Fehler der anderen ausnutzt, um die Demokratie insgesamt zu verhöhnen. Womöglich verlangt eine solche Zeit von Demokraten dann doch mehr Anstand und Verantwortungsgefühl als früher.

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