Evangelische Kirche EKD kämpft gegen Missbrauch

Hannover · Licht in ein dunkles Kapitel: Nach der katholischen will nun auch die evangelische Kirche ein Konzept zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs umsetzen.

  Die evangelische Kirche (hier das Turmkreuz der Dresdner Frauenkirche bei Vollmond) hat lange mit der Aufarbeitung ihrer Missbrauchsfälle gewartet. Jetzt ist unter anderem eine zentrale Anlaufstelle für Betroffene geplant .

Die evangelische Kirche (hier das Turmkreuz der Dresdner Frauenkirche bei Vollmond) hat lange mit der Aufarbeitung ihrer Missbrauchsfälle gewartet. Jetzt ist unter anderem eine zentrale Anlaufstelle für Betroffene geplant .

Foto: dpa/Robert Michael

Kurz vor dem Start des evangelischen Kirchentages in Dortmund mit dem Motto „Was für ein Vertrauen“ nimmt eine Gruppe leitender Geistlicher ein Thema in den Blick, das auf dem Treffen der Gläubigen kaum eine Rolle spielen wird. Im Kirchenamt der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover ging es am Dienstag um sexuellen Missbrauch – eine Problematik, die in der öffentlichen Wahrnehmung bisher eher den Katholiken zugeordnet wurde. Nach dem Bekanntwerden von inzwischen 600 Fällen auch in evangelischen Einrichtungen haben die Protestanten entschieden, die Aufarbeitung endlich voranzutreiben.

Die Dimension: Eine Untersuchung in zehn der 20 evangelischen Landeskirchen ergab 479 meist strafrechtlich verjährte Missbrauchsfälle. Inzwischen geht man von 600 Betroffenen aus, die wohl nur eine Teilmenge der tatsächlichen Opfer sind. Die meisten Missbrauchsfälle ereigneten sich in den 1950er, 60er und 70er Jahren sowohl in Kirchengemeinden als auch in diakonischen Einrichtungen. Bei zwei Dritteln der Betroffenen handelt es sich nach Mitteilung der EKD um ehemalige Heimkinder. Grundsätzlich sind Missbrauchsfälle auch in evangelischen Heimen seit Jahren bekannt, schon 2011 baten EKD und Diakonie die Betroffenen um Verzeihung und sprachen von einem „Versagen der evangelischen Heimerziehung in den Nachkriegsjahren“. Erst seit dem vergangenen Herbst aber hat die EKD eine zentrale Aufarbeitung in Angriff genommen.

Die Strategie der EKD: Auf der Jahrestagung des Kirchenparlaments im November in Würzburg legte die EKD einen Elf-Punkte-Handlungsplan vor. Dazu gehören die Einrichtung einer zentralen, von der Kirche unabhängigen Ansprechstelle, die am 1. Juli ihre Arbeit aufnimmt. Geplant ist auch eine bundesweite Untersuchung von Missbrauch in der evangelischen Kirche und Diakonie, erste Ergebnisse sollen 2021 vorliegen. Ziel der Untersuchung ist es auch, spezifische evangelische Risiken zu ermitteln. Auch ist eine Dunkelfeldstudie geplant. 1,3 Millionen Euro hat die evangelische Kirche im Haushalt dieses Jahres für die Aufarbeitung von Missbrauch vorgesehen.

Der Unterschied zur katholischen Kirche: Da ist zum einen die Dimension. Eine 2018 vorgelegte bundesweite Studie im Auftrag der katholischen Kirche ergab gestützt auf Kirchenakten, dass zwischen 1946 und 2014 mindestens 1670 katholische Kleriker 3677 Minderjährige missbraucht haben sollen. Über das Dunkelfeld kann nur spekuliert werden. Zum anderen sind bei der evangelischen Kirche Gemeindeseelsorger – anders als bei den Katholiken – nur in geringem Umfang in Missbrauchsfälle verwickelt. Die katholische Kirche geht die Problematik allerdings seit 2010 zentral an, die EKD hat nun erst begonnen und räumt Verzögerungen ein.

Die Konsequenzen: Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche löste 2010 ein Erdbeben aus. In der evangelischen Kirche trat ebenfalls 2010 die Hamburger Bischöfin Maria Jepsen zurück, nachdem sie im Zusammenhang mit Missbrauchsvorwürfen gegen einen Pastor unter Druck geraten war. Betroffene beklagten ein Wegschauen und Vertuschen in der Kirche.

Das Präventionskonzept: Vereinzelt, aber immer wieder gibt es auch in evangelischen Einrichtungen neue Missbrauchsfälle. Die EKD will die in den Landeskirchen bestehenden Präventionsangebote verbessern. Die externe Untersuchung soll aber auch systemisch bedingte Risikofaktoren identifizieren. Eine allgemeine Entschädigungsregelung für Betroffene plant die EKD nicht. „Das Thema Entschädigungen muss jede Landeskirche selber regeln“, sagte Oberkirchenrat Nikolaus Blum. Die bayerische Landeskirche habe zum Beispiel bereits mehr als eine halbe Million Euro an Betroffene gezahlt.

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