Seehofer und die Flüchtlingspolitik Vom Spalter zum Macher in der Not?

Berlin · Innenminister Horst Seehofer wirbt eindringlich für eine gemeinsame EU-Asylpolitik. Es geht um einen Dauerstreit – und sein politisches Vermächtnis.

 Einst führte er als Hardliner in Flüchtlingsfragen die Koalition an den Abgrund, jetzt kämpft Bundesinnenminister Horst Seefofer (CSU) eifrig um eine gemeinsame europäische Asylpolitik – wie hier beim Ministertreffen auf Malta im September.

Einst führte er als Hardliner in Flüchtlingsfragen die Koalition an den Abgrund, jetzt kämpft Bundesinnenminister Horst Seefofer (CSU) eifrig um eine gemeinsame europäische Asylpolitik – wie hier beim Ministertreffen auf Malta im September.

Foto: dpa/Jonathan Borg

Bis zur nächsten Bundestagswahl will Horst Seehofer Innenminister bleiben. Dann soll Schluss sein, sagt der 70-Jährige. Aber bevor er sich aus der Politik zurückzieht, will der ehemalige CSU-Chef noch ein großes Problem lösen, an dem sich vor ihm einige und auch er selbst lange die Zähne ausgebissen haben: Eine neue gemeinsame europäische Asylpolitik soll her – als Ersatz für das Dublin-System, das schon lange nicht mehr richtig funktioniert.

Am Wochenende unterstrich der Bayer sein Ansinnen nochmal mit drastischen Worten. Ohne eine gemeinsame europäische Kraftanstrengung drohe eine neue Flüchtlingskrise. „Wir müssen unseren europäischen Partnern bei den Kontrollen an den EU-Außengrenzen mehr helfen. Wir haben sie zu lange alleine gelassen“, sagte Seehofer der Bild am Sonntag. „Wenn wir das nicht machen, werden wir eine Flüchtlingswelle wie 2015 erleben – vielleicht sogar noch eine größere als vor vier Jahren.“

2015 waren mehr als eine Million Asylbewerber nach Europa gekommen, so viele wie nie. Danach sank die Zahl der Schutzsuchenden, die neu ins Land kamen, wieder. Doch der Streit um die Flüchtlinge – den auch Seehofer kräftig öffentlich austrug – hielt an, führte zum Erstarken der AfD und in eine politische Krise.

Inzwischen steigt im östlichen Mittelmeer die Zahl der Flüchtlinge, die aus der Türkei nach Griechenland kommen, wieder stark an. Auch die Drohung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, mehr Flüchtlinge in die EU zu lassen, ist Anlass für die Seehofersche Warnung.

Sein Vorhaben, nach Jahren der Blockade eine europäische Quotenregelung in der Asylpolitik herbeizuführen, ist ambitioniert, aber nicht unmöglich. Denn die Unzufriedenheit über die aktuelle Lage ist groß. Und Seehofer pflegt gute Beziehungen zu einigen Politikern, die eine Einigung bislang torpediert haben – wie der rechtsnationale ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán. Im Erfolgsfall würde Seehofer dann wohl nicht als der Spalter in Erinnerung bleiben, der im Streit um die Zurückweisung einiger weniger Migranten einst die Regierung an den Abgrund führte – sondern als Macher mit Verhandlungsgeschick und Kompromissfähigkeit.

Seehofers Reise nach Ankara und Athen in der vergangenen Woche war ebenso Teil dieser Bemühungen wie die Vereinbarung von Malta, wo Seehofer und sein französischer Amtskollege Christophe Castaner kürzlich einen Plan für die Verteilung bestimmter Bootsmigranten erarbeitet hatten.

Gegenüber der Türkei zeigt sich Seehofer derweil voll des Lobes. „Ein ganz herzliches Dankeschön. Das ist eine Leistung, die auch in die Welthistorie eingehen wird“, sagt er zur türkischen Regierung, die seit 2011 mehr als drei Millionen Menschen aus dem Nachbarland Syrien aufgenommen hat. Die EU will die Türkei mit Geld und guten Worten bei der Stange halten, damit ihre Küstenwache verhindert, dass sich wieder Hunderttausende – Syrer und Schutzsuchende aus anderen Ländern – per Boot zu den griechischen Inseln aufmachen, so wie 2015. Wie es in der Türkei um Menschenrechte bestellt ist, rückt weiterhin in den Hintergrund.

Im Kern will der Bundesinnenminister die EU-Außengrenzen dichter machen. Gleichzeitig verlängert er die Kontrollen an der Grenze zu Österreich. Die Schleierfahndung an der deutschen Grenze soll intensiviert werden, um die sogenannte Sekundärmigration zu bremsen. Das heißt, durch verdachtsunabhängige und lageabhängige Kontrollen im 30-Kilometer-Raum vor der Grenze will man verhindern, dass viele Asylbewerber nach Deutschland weiterziehen. Das ist zwar aufwendig und läuft der Idee des Schengen-Raums zuwider. Unterm Strich ist es aber vielleicht leichter umzusetzen als die von Seehofer ebenfalls angekündigte Abschiebungsoffensive.

Seinem Plan für die Seenotrettung haben sich außer Deutschland und Frankreich bisher nur Italien und Malta angeschlossen. Und die Geretteten, die mit Schlepperbooten aus Libyen und Tunesien kommen, sind auch nur ein kleiner Teil der gesamten Migrationsbewegung. Doch Seehofer hofft, dass sich am Dienstag beim Rat der europäischen Innen- und Justizminister weitere Staaten dem Verteilmechanismus anschließen. Der könnte dann so etwas wie die Keimzelle für eine Einigung über Quoten für die Aufnahme aller Asylbewerber sein – um die die EU seit Jahren ringt.

Das wäre eine Abkehr von den Dublin-Regeln, wonach im Prinzip jeder da seinen Asylantrag stellen muss, wo er zuerst registriert wurde. Doch die Regeln sind ebenfalls aufwendig und führen oft nicht zum erwünschten Ziel. Seine Pläne will Seehofer dem Vernehmen nach auch bald mit der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen besprechen.

Seehofers Ankündigung, Deutschland könne – wenn genügend andere EU-Staaten mitmachen – künftig jeden Vierten geretteten Bootsmigranten von der zentralen Mittelmeerroute aufnehmen, sorgt in der Union für Ärger. Noch am Wochenende distanzierten sich Unionspolitiker, warnten vor Anreizen für Schlepper. Auch AfD und FDP kritisieren die Vereinbarung von Malta, SPD, Linke und Grüne begrüßen sie.

Der zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos verteidigteSeehofers Kurs am Wochenende. „Es ist unser vorrangiges Ziel, irreguläre Ankünfte zu reduzieren, Schmuggler zu bekämpfen und die Rückführung irregulärer Migranten zu erleichtern – und ebenso, Leben zu retten und legale Wege für Schutzbedürftige zu öffnen“, sagte der Grieche der Funke-Gruppe.

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