Entscheidung der EU-Innenminister Schengen: Kroaten drin, Bulgaren und Rumänen draußen

Brüssel · Die Flüchtlingsdynamik gerät in immer mehr EU-Staaten aus dem Griff. Weil das System nicht funktioniere, blockierten Österreich und die Niederlande die Ausweitung des grenzfreien Reisens um Rumänien und Bulgarien. Lediglich Kroatien kam in den Schengen-Raum.

 Ylva Johansson und Vit Rakusan am Donnerstag in Brüssel, als sie für Kommission und Ratspräsidentschaft die nur teilweise Erweiterung des Schengen-Raumes verkünden.

Ylva Johansson und Vit Rakusan am Donnerstag in Brüssel, als sie für Kommission und Ratspräsidentschaft die nur teilweise Erweiterung des Schengen-Raumes verkünden.

Foto: AP/Thierry Monasse

Alle drei hätten es verdient, meinten sowohl die beiden zuständigen EU-Kommissare, das EU-Parlament und auch die EU-Ratspräsidentschaft. Kroaten, Bulgaren und Rumänen hätten alle Bedingungen für einen Beitritt zum Schengen-Raum des grenzfreien Reisens nicht nur erfüllt, sondern übererfüllt. Doch es half nichts. Weil dafür ein einstimmiger Beschluss der EU-Innenminister bei ihrem Treffen an diesem Donnerstag nötig gewesen wäre, konnten die Niederlande und Österreich die Erweiterung mit ihrem Veto verhindern. Lediglich Kroatien schaffte den nächsten Schritt der Integration.

„Herzlich willkommen im Schengen-Raum“, sagte Innen-Kommissarin Ylva Johansson unmittelbar nach der Abstimmung an die Adresse Kroatiens. Zugleich versicherte sie, mit Rumänien und Bulgarien gemeinsam enttäuscht zu sein. „Ich bin überzeugt: Ihre Zeit wird bald kommen“, sagte der tschechische Innenminister Vit Rakusan. Zuvor hatte Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser auf die Verabredung im Ministerrat verwiesen, auf die Fortschritte in den Ländern zu schauen. Diese seien „erkennbar erzielt“ worden, weswegen Deutschland mit 24 anderen Staaten für die Erweiterung auch um Bulgarien und Rumänien stimmte. Das Votum des österreichischen Kollegen könne sie „nicht nachvollziehen“.

Der Vizepräsident der EU-Kommission, Margaritis Schinas betonte, es sei „ungerecht“, den Beitritt zum Schengen-Raum nicht allen drei Kandidaten zuzugestehen. Seit zehn Jahren warten Bulgarien und Rumänien auf ein positives Votum zu ihrem Aufnahmeantrag. Sie sind seit 2007 EU-Mitglieder, Kroatien erst seit 2013. Unverständnis äußerte die Migrationsexpertin des EU-Parlamentes, Lena Düpont. „Beide Länder erfüllen schon seit Jahren die nötigen Anforderungen. Sie haben Migrationskrisen, Pandemiebeschränkungen und jetzt die Ankunft von Millionen von Kriegsflüchtlingen in vorbildlicher Weise und unter immensem Druck bewältigt“, betonte die CDU-Politikerin.

Doch Österreichs Innenminister Gerhard Karner blieb bei seiner morgendlichen Ankündigung einer Blockade. Über 100.000 illegale Grenzübertritte seien in diesem Jahr in Österreich gezählt worden, darunter seien 75.000 nicht registriert gewesen. Dies sei ein klarer Hinweis darauf, dass die Regeln nicht eingehalten würden. „Es ist falsch, ein System, das nicht funktioniert, auch noch zu erweitern“, unterstrich der Politiker der christdemokratischen ÖVP, die in Wien zusammen mit den Grünen regiert.

Die Motivforschung für das Nein wird schnell fündig bei einem Blick auf aktuelle Umfragen. Danach sind in Österreich die beiden Regierungsparteien von zusammen 51 auf 31 Prozent abgestürzt. Wären am Sonntag Nationalratswahlen, würden die Rechtspopulisten der FPÖ mit 27 Prozent stärkste Partei. Auch in den Niederlanden haben die Regierungsparteien derzeit rund 15 Prozentpunkte eingebüßt, sind Bauernpartei und Rechtspopulisten deutlich erstarkt. Im benachbarten Belgien sind die Werte für die rechtspopulistische Partei Vlaams Belang auf 27 Prozent hochgeschnellt. Gerade in Flandern zeigen sich immer mehr Städte vom Migrationsgeschehen überfordert, können selbst Familien mit kleinen Kindern nicht mehr in Flüchtlingsunterkünften unterbringen.

In dieser Situation wird auch die Stimmung zwischen den EU-Staaten immer gereizter. So löste der niederländische Regierungschef Mark Rutte Empörung in Bulgarien aus, als er die Vermutung äußerte, dortige Grenzschützer könnten empfänglich für Schmiergeldzahlungen sein. Verbittert verwies daraufhin der bulgarische Präsident Rumen Radew darauf, dass bei der Sicherung der EU-Außengrenze bereits drei Grenzschützer getötet worden seien und sein Land statt europäischer Solidarität dafür Zynismus ernte.

Rumäniens Ministerpräsident Nicolae Ciuca hatte im Vorfeld des Innenminister-Treffens betont, dass die Zahl der Migranten, die durch sein Land kämen, nicht so hoch sei, dass sie Ängste auslösen könnten. Kommissarin Johansson versicherte ihrerseits, dass sich die Zahl der von den EU-Grenzschutzbeamten in Rumänien und Bulgarien festgestellten Einreisen bei weitem nicht mit den dann tatsächlich erfolgenden Asylanträgen decke und die Migranten offenbar vor allem über andere Wege als die Balkan-Route nach Österreich, Deutschland, Belgien und die Niederlande kämen.

Faeser hatte sich vor Beginn des Treffens in Brüssel erneut für verstärkte Registrierungsbemühungen an den Außengrenzen eingesetzt. Trotz eines Krisentreffens zur Migration vor zwei Wochen kommt die EU mit einer verstärkten Gesetzgebung kaum voran. Bislang haben sich die Institutionen lediglich auf einen Zeitplan verständigen können, wonach sie die Verhandlungen bis Februar übernächsten Jahres abgeschlossen haben wollen. Eine schnelle Einigung könnte es zwar bei dem Teil geben, der ein intensives Screening von Neuankömmlingen verlangt, ihre Identität, gesundheitliche Situation, Sicherheitsbelange, Fingerabdrücke zentral speichert. Doch der Solidaritätsteil des Paketes mit einer fairen Verteilung von Flüchtlingen wird regelmäßig ausgebremst.

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