„Sanktionen gegen Russland überdenken“

Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) hat die westlichen Sanktionen gegen Russland in Frage gestellt. Begründung: Ohne Moskau keine Lösung des Syrien-Konflikts. Der Krieg in Syrien wiederum gilt als zentrale Ursache der gegenwärtigen Flüchtlingsströme, von denen Deutschland am meisten betroffen ist. Im Gespräch mit unserem Berliner Korrespondenten Stefan Vetter unterstützt der Außenexperte der Grünen, Jürgen Trittin, den umstrittenen Vorstoß Gabriels

Herr Trittin, die Bundeskanzlerin hat kürzlich Gespräche mit Syriens Diktator Assad angeregt, um den Krieg dort zu beenden. Darf man mit einem Mann reden, der sein eigenes Volk bombardiert?
Trittin: Ich sehe in dem Kursschwenk der Kanzlerin den Willen für eine überfällige Korrektur der Syrien-Politik Europas wie der USA. Man hat jetzt drei Jahre lang vergeblich auf einen Sturz Assads gesetzt und dafür sogar den Vormarsch terroristischer Kräfte wie der Al-Nusra-Front und des IS in Kauf genommen, den man nun wieder einfangen muss. Deshalb wird man mit Assad reden müssen. Fest steht allerdings auch, dass Assad in einem stabilisierten Syrien am Ende nicht Teil der Lösung sein kann. Er ist und bleibt ein Problem.Nun verfügt Russland traditionell über gute Beziehungen zu Assad. Ist der Westen deshalb gewissermaßen verurteilt, künftig auch wieder stärker auf Moskau zuzugehen?
Trittin: Was heißt "verurteilt"? Wir haben mit Russland gemeinsam die syrischen Chemiewaffen zerstört. Wir haben mit Russland gemeinsam den Vertrag über die Begrenzung der nuklearen Forschung und Anreicherung im Iran auf den Weg gebracht. Russland ist ein Faktor in der internationalen Politik. Offensichtlich ist es gut, wenn man das Land bei der Lösung solcher Probleme an seiner Seite hat.

Heißt das auch, die Sanktion gegen Moskau zu überdenken, die der Westen im Zuge des Ukraine-Konflikts verhängt hat?
Trittin:
Langfristig wird man Russland nicht als Partner haben und gleichzeitig die Sanktionen aufrechterhalten können. Da hat Gabriel durchaus Recht, auch wenn er mal wieder zu voreilig ist.

Warum? In der Union und auch in Ihrer Partei gibt es generell Kritik an Gabriels Idee.
Trittin:
Halten wir uns an die Realität: Die Sanktionen im Zusammenhang mit der Krim-Annexion durch Moskau werden wahrscheinlich noch sehr lang bestehen, weil hier keine Bewegung der russischen Seite erkennbar ist. Allerdings sind das eher symbolische Maßnahmen gewesen. Über die sehr viel härter wirkenden wirtschaftlichen Sanktionen, zu denen es in Folge der Destabilisierung der Ostukraine durch Russland kam, wird man dagegen ohnehin sprechen müssen. Denn sie sind befristet. Im Dezember wird die EU turnusgemäß über eine Verlängerung entscheiden.

Was könnte gegen eine Verlängerung sprechen?
Trittin:
Entscheidend ist, wie sich der Befriedungsprozess in der Ostukraine weiter vollzieht. Fest steht, dass sich die Lage seit Anfang September dort verbessert hat. Ein weiterer Prüfstein ist die ordnungsgemäße Durchführung der geplanten Wahlen in der Ostukraine. Unabhängig davon muss man jedoch zwei Dinge tun: Alle Sanktionen, die sich gegen Delegierte des russischen Parlaments und des Europarates richten, müssen zurück genommen werden. Denn es macht keinen Sinn, die Dialogmöglichkeiten durch ein Embargo zu erschweren. Und zum zweiten muss der Nato-Russland-Rat wieder in Gang kommen. Nur so kann Russland auch für eine konstruktive Rolle bei der Beendigung des Syrien-Krieges gewonnen werden.

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