Ausgangssperre & Co. Wann ist es Zeit für den Exit aus der Corona-Krise?

Berlin · Während die politisch verordneten Regeln gegen die Pandemie die Republik lahmlegen, werden erste Rufe nach geordneter Rückkehr zum Alltag laut. Andere warnen vor falscher Schnelligkeit.

Foto: Illustration: SZ, istock

Geschlossene Betriebe, verwaiste Innenstädte, leere Straßen. Wie lange lässt sich dieser Stillstand noch durchhalten, ohne massive wirtschaftliche und gesellschaftliche Verwerfungen zu riskieren? Genau sagen kann das niemand – aber angesichts der einschneidenden Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus wird der Ruf nach einer Exit-Strategie, nach einer zumindest schrittweisen Rückkehr zum Alltag, bereits lauter. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betont zwar, dass die Krise noch nicht vorbei ist. Dennoch stellte er jetzt Lockerungen der Corona-bedingten Restriktionen nach Ostern in Aussicht.

Gefordert werden diese vor allem aus ökonomischer Sicht. So illustrierte das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) den Ernst der Lage am Donnerstag mit eigenen Berechnungen: Sollten die Einschränkungen noch bis Ende April anhalten, würde das Wachstum in Deutschland um rund fünf Prozent schrumpfen. Um zehn Prozent bis Ende Juni. In der Industrie läge der Rückgang dann sogar bei 18 Prozent. Zwar hat die Bundesregierung ein Mega-Hilfsprogramm aufgelegt. Doch müssten größere Betriebe dabei Schulden in Kauf nehmen, was künftige Investitionen verhindert. Auch der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Sebastian Dullien, hält eine baldige Lockerung der Auflagen für geboten. „Während viele Unternehmen den Shutdown von einigen Wochen noch überstehen können, dürfte die Zahl der Pleiten mit längerer Dauer steigen“, sagte der Ökonom unserer Redaktion. „Das dürften wir bereits sehen, falls die Schließungen über die Osterferien hinaus fortgesetzt werden“.

Vor einem verfrühten Ausstieg warnte hingegen der Chef des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest. „Die Exit-Strategie muss so gestaltet werden, dass ein neuerlicher massiver Anstieg der Infektionen verhindert wird“, sagte Fuest der Rheinischen Post. Zunächst sei vor allem eine bessere Versorgung der Bevölkerung mit Schutzmasken nötig.

Wann ist es also Zeit für einen Exit aus der Corona-Krise? Die Osterfeiertage in zwei Wochen sind offenbar auch für Minister Spahn ein Schlüsseldatum. In einem Zeit-Interview kündigte er an, „bis spätestens Ostern“ ein Konzept zum schrittweisen Ausstieg aus dem Krisenmodus zu erarbeiten. Nach seinen Vorstellungen soll es dabei auch um einen Verzicht der vom Coronavirus besonders bedrohten Älteren zugunsten der Jüngeren gehen. Wenn man Ältere und chronisch Kranke schütze, „können wir gleichzeitig an anderen Stellen wieder normales Alltagsleben ermöglichen“, sagte Spahn. Und weiter: „Wir werden die Älteren also möglicherweise über mehrere Monate bitten müssen, ihre Kontakte stark einzuschränken und im Zweifel zu Hause zu bleiben.“

Freilich ist das sehr problematisch. So warnte zum Beispiel die Grüne Renate Künast: „Knapp 18 Millionen Menschen kann man nicht kasernieren, ohne Kontakte zu Jüngeren zu haben“.

Ohnehin könnte sich das Virus erst recht ausbreiten, sollte der Stillstand zu früh gelockert werden. Der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, sieht jedenfalls keinerlei Entwarnung. „Wir stehen gerade am Anfang, die Epidemie zu bekämpfen“, erklärte er am Donnerstag auf einer Pressekonferenz mit Spahn. Auch dieser sprach von einer „Ruhe vor dem Sturm“. Trotzdem stellte er eine Lockerungen der Einschränkungen in Aussicht: „Wir können dann nach Ostern möglicherweise über eine Veränderung reden, wenn wir bis Ostern alle miteinander konsequent sind“. Sprich, die Auflagen eingehalten haben.

Danach sieht es aktuell aus – zumindest gaben in einer YouGov-Umfrage 83 Prozent der Befragten an, sich an die Anti-Corona-Regeln zu halten, zwölf Prozent zum Teil. Nur zwei Prozent halten sich demnach nicht an Kontaktverbote & Co.

Druck in der Frage nach dem „Exit“-Zeitpunkt kommt indes auch aus den Kommunen: Der Deutsche Städtetag forderte Bund und Länder auf, mit den Kommunen ein Konzept für eine stufenweise geordnete Rückkehr zum Alltag zu erarbeiten. Eine geordnete Exit-Strategie wäre „ein klares Signal, um den Sorgen der Menschen zu begegnen“, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy der Rheinischen Post. „Langfristig können wir nicht das gesamte Land lahmlegen“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, der Funke-Gruppe. Die Politik müsse überlegen, wann und unter welchen Voraussetzungen die Einschränkungen gelockert werden könnten.

Aus der Politik kommt Widerspruch: Gegen eine vorzeitige Lockerung sprach sich neben Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) auch Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) aus. Wann Deutschland schrittweise zum normalen Alltag zurückkehren könne, könne derzeit niemand seriös sagen. „Das ist keine Frage des Zeitpunkts, sondern eine Frage von Fakten. Das ist auch keine Frage des Gefühls, wann es irgendwann genug ist.“

Inwieweit wir uns an die Corona-Maßnahmen halten

Inwieweit wir uns an die Corona-Maßnahmen halten

Foto: SZ/Müller, Astrid

Die Bundesregierung arbeite jedenfalls an Konzepten für „eine Zeit nach Corona“, in der man weiter gegen das Virus kämpfe, das öffentliche Leben aber schrittweise normalisiere, sagte Spahn. Dabei solle auch diskutiert werden, wie Handydaten im Krisenfall für die Klärung von Infektionsketten zu nutzen seien. Ein heikles Thema.

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