Roberta Metsola neue EU-Parlamentspräsidentin Kleines Land, starke Frau, große Hoffnung

Straßburg · An der Wahl der 43-jährigen Maltesin Roberta Metsola zur neuen Präsidentin des Europaparlamentes galt seit einer Verständigung zwischen Christ- und Sozialdemokraten kein Zweifel. Dass sie es aber überraschend klar schon im ersten Wahlgang schaffte, zeugt von den großen Erwartungen, die mit ihr verbunden werden.

Roberta Metsola bei ihrer Antrittsrede am Dienstag in Straßburg.

Roberta Metsola bei ihrer Antrittsrede am Dienstag in Straßburg.

Foto: dpa/Philipp von Ditfurth

Simone Veil war 1979 die erste, Nicole Fontaine 1999 die zweite. Als Roberta Metsola an diesem Dienstag nach 31 Männern als dritte Frau an die Spitze des Europaparlamentes gewählt worden war, versprach sie umgehend, dass es nun nicht wieder zwei Jahrzehnte dauern werde, bis wieder eine Frau die Dinge in die Hand nehme. Die forsche Zusage belegte, was viele Europaabgeordnete mit ihrer Wahl verbinden: Dass da eine anpackt und verändert. Zusammen mit Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin könnte, so die in Brüssel verbreitete Hoffnung, die neue Frauenpower die Gemeinschaft tatsächlich frischer und attraktiver machen.

„Roberta, die Fraktion ist stolz auf Dich“, sagte EVP-Chef Manfred Weber zusammen mit den herzlichsten Glückwünschen zu Metsolas 43.. Sie wurde an ihrem Geburtstag die jüngste Persönlichkeit an der Spitze der europäischen Parlamentsdemokratie und die erste aus dem kleinsten Land. Das sind schon mal zwei Dinge, die gewöhnlich gegen den Erfolg der Maltesin gesprochen hätten. Ihre Vorgänger waren zumeist älter und aus einem der großen Mitgliedsländer. Zwei weitere Hindernisse schwebten mehrere Jahre ebenfalls über ihrer Karriereleiter. Denn eigentlich war erwartet worden, dass der Wahlsieger der Europawahlen, CSU-Vize Weber, nach dem Parlamentspräsidentenamt greifen würde, nachdem er schon nicht Kommissionspräsident hatte werden können. Und dann hatten die Sozialdemokraten die Vereinbarung mit der EVP über den Wechsel der Farben zur Halbzeit in Frage gestellt, nachdem es eine Reihe sozialdemokratischer Wahlerfolge gegeben hatte und als Ergebnis kein einziges EU-Spitzenamt mehr von ihnen besetzt werden sollte.

Doch Weber zog die Perspektive vor, EVP-Chef zu werden - zumal zwei Deutsche auf zwei Spitzenposten auch schwer vermittelbar gewesen wären. Und auch Sozialdemokrat David Sassoli verzichtete Mitte Dezember wegen fehlenden Rückhalts bei den anderen Fraktionen und geschwächt von der Krankheit, an der er vergangene Woche starb. Bereits Ende November hatte Metsola die eigenen Fraktionsfreunde ihre Überzeugungskraft und Durchsetzungsfähigkeit erleben lassen. Da ging es in der EVP darum, wer das Rennen als offizielle Kandidatur machen würde. Die Niederländerin Esther de Lange (46) rechnete sich gute Chancen aus, ebenfalls der Österreicher Othmar Karas (64). Doch Metsola entschied den Dreikampf auch hier schon gleich im ersten Wahlgang mit 112:24:18 Stimmern klar für sich.

Nun blieb nur noch ein Manko. Die Katholikin steht zum Abtreibungsverbot in ihrem Heimatland, hat auch auf Europaebene stets gegen Lockerungen gestimmt. Als sie sich dann bei den anderen Fraktionen vorstellte, konnte sie nicht nur mit ihrem Eintreten für Rechtsstaatlichkeit und gleiche Rechte für Schwule, Lesben und Transgender werben, sie machte auch klar, dass sie als Präsidentin des Europaparlamentes „selbstverständlich“ die Beschlusslage des Europaparlamentes offensiv nach außen vertreten werde. Zudem lebt sie als mit einem Finnen verheiratete Mutter von vier Söhnen ein modernes Frauenbild. Insofern war vielen Abgeordneten klar, dass Metsola die neue Präsidentin sein würde, die von Linken und Grünen präsentierten Gegenkandidatinnen keine reale Chance hatten.

Dass Metsola dann überraschend klar mit 458 Stimmen über der notwendigen 309-Stimmen-Mehrheit schon im ersten Wahlgang lag, mag mit der Lust vieler Europaabgeordneter an einer mutigeren und entschiedeneren Interessenvertretung des Parlamentes zweieinhalb Jahre vor den nächsten Europawahlen zu tun haben. Metsola äußerte schon im Vorfeld kräftige Kritik an der Regelung, dass ein EU-Parlamentspräsident im Rat der Staats- und Regierungschefs eine Rede halten darf und dann wieder die Tagung zu verlassen hat. Bleibt sie also beim nächsten Rat einfach mal sitzen?

Zu den ersten Ansagen der neuen Präsidentin gehörte die Ankündigung, Europa die Menschen in den Dörfern und Städten besser spüren zu lassen. „Wir müssen die Blasen in Straßburg und Brüssel durchbrechen“, sagte die Frau, die in der Brüsseler Blase stark geworden ist und auch mit dem Studium am Europa-College in Brügge die typischen Voraussetzungen für eine EU-Karriere legte - und schaffte: EU-Vertretung Maltas, Beraterin des EU-Außenbeauftragten, Europa-Abgeordnete, Vizeparlamentspräsidentin. Aber schon im Studium warb sie in der Heimatbevölkerung - erfolgreich - für einen EU-Beitritt. Sie selbst sieht sich als erste Präsidentin der „Ersamus-Generation“ - jener nachgewachsenen Jahrgänge also, die nicht mit der Gründung der EU, sondern mit dem praktischen Erleben Europas groß geworden sind. Und die damit auch bedrückt vor den wachsenden Zweifeln am Projekt Europa stehen.

Um wieder Begeisterung für das europäische Projekt zu entfachen, stellt sie das Parlament ohne Wenn und Aber an die Seite der Frauenrechte, an die Seite der Opfer von Gewalt und Korruption auch in ihrer eigenen Heimat, an die Seite der Klimaaktivisten. „Das kann keine spätere Generation behandeln, morgen ist es zu spät“, ruft sie bei ihrer Antrittsrede. Die richtige Antwort sei, der erste CO2-freie Kontinent zu werden.

Auch die Grünen gratulierten Metsola trotz Aufstellens einer Gegenkandidatin mit überschwänglichen Worten: „Sie sind eine große Demokratin“, sagte Fraktionschef Philippe Lamberts. Allerdings verbunden mit einer Erwartung: Ein Zeichen zu setzen, die Minderheitenrechte stärker zu verankern. Denn auch Metsolas Wahl sei von Absprachen der großen Fraktionen um Postenvergabe begleitet gewesen. Große Erwartungen an eine starke Frau.

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