Rechtsextremismus Zunehmende Gefahr von rechts macht Behörden Sorgen

Berlin · Nach dem Mordfall Lübcke sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf, um rechte Täter früher zu stoppen. Es geht nicht nur um mehr Personal.

Im Bereich der politischen Gewalt durch rechte Täter scheint sich etwas zusammenzubrauen, was den Sicherheitsbehörden Sorgen macht. Um Extremisten und potenzielle Terroristen aus dem rechten Spektrum frühzeitig erkennen und stoppen zu können, sollen Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt zusammen mehr als 500 zusätzliche Stellen erhalten. So sehen es zumindest Pläne vor, an denen derzeit im Bundesinnenministerium gearbeitet wird. Der noch nicht im Haushalt für 2020 eingepreiste Stellenzuwachs bedarf noch der Zustimmung des Bundestags.

Dass die Sicherheitsbehörden die Gefahr von rechts bis zum Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke Anfang Juni unterschätzt hätten, wie Oppositionspolitiker sagen, will Innen-Staatssekretär Hans-Georg Engelke nicht gelten lassen. Er verweist auf eine neue Dynamik im Rechtsextremismus: „Gerade in den letzten Monaten beobachten wir in diesem Phänomenbereich Entwicklungen, die beunruhigend sind. Deshalb wollen wir hier jetzt auch schnell handeln.“

Nach dpa-Informationen geht es nicht nur um mehr Personal. Ähnlich wie bei der Beobachtung von Islamisten sollen künftig auch bei Rechtsextremisten stärker Informationen zu radikalisierten Einzelpersonen zusammengetragen werden, anstatt vor allem auf bekannte Gruppen zu schauen. Für die Einschätzung der Gefährlichkeit Einzelner soll eine neue Kategorisierung entwickelt werden. Einfließen würden Risikofaktoren wie besonderes Interesse an Waffen oder Teilnahmen an rechten Aufmärschen. Auch bei der Erkennung von Netzwerken will man neue Wege gehen.

Ein großes Paket mit Gesetzesänderungen müsste für diese Maßnahmen nicht geschnürt werden. Das Meiste wäre mit bereits vorhandenen Instrumenten umsetzbar. Allerdings wird im Innenministerium jetzt auch darüber nachgedacht, Social-Media-Plattformen nicht nur zur Löschung von Gewaltaufrufen und Hassbotschaften zu bringen, sondern dazu, diese auch der Polizei zu melden. Außerdem hat der Fall des mutmaßlichen Rechtsterroristen Stephan E., der als Hauptverdächtiger für den Lübcke-Mord in U-Haft sitzt, die Diskussion um die Daten neu entfacht. Es geht darum, wie lange Daten von Menschen mit Neonazi-Vergangenheit bei den Behörden aufbewahrt werden sollten.

„Generell gilt: Hinsichtlich eines Rechtsänderungsbedarfs sind wir zurückhaltend, denken jedoch zum Beispiel über die Verlängerung von Löschfristen und mögliche Ausleitungsverpflichtungen von Betreibern sozialer Netzwerke für klar strafbare Inhalte bei Offizialdelikten nach“, sagt Engelke. Mit Blick auf die ohnehin geplante Novelle des Verfassungsschutzgesetzes ergänzt er: „Die Befugnisse zur Online-Durchsuchung und zur Überwachung von Kommunikation per Messenger in besonders gravierenden Fällen, die wir auch für die Bekämpfung des Islamismus benötigen, brauchen wir natürlich auch hier.“

Die Polizei stuft im rechten Spektrum bundesweit rund 40 Menschen als sogenannte Gefährder ein, hinzu kommen etwa 110 „relevante Personen“. Zum Vergleich: Ende 2016 gab es 22 Gefährder – also Personen, denen die Behörden schwere Gewalttaten bis zu Terroranschlägen zutrauen. Die Zahl der islamistischen Gefährder sank zuletzt leicht und liegt jetzt knapp unter 700.

Alarmiert hatte die Behörden nicht nur der Fall Lübcke. Erschreckend ist auch das Szenario, auf das sich die acht Männer vorbereitet haben sollen, die vom 30. September an als mutmaßliche Mitglieder der Gruppe „Revolution Chemnitz“ vor Gericht stehen. Nach Auffassung des Generalbundesanwalts besteht der dringende Verdacht, dass von ihnen „im Rahmen einer mitgliedschaftlichen Beteiligung auch Schusswaffen beschafft werden sollten, um unter Inkaufnahme der Tötung von Menschen einen Umsturz der demokratischen Ordnung in Gang zu setzen“.

Was sind die Ursachen für das Anwachsen der Gefahr von rechts? Engelke sieht eine diffuse Gemengelage. Er sagt: „Das reicht von der enthemmten, weitgehend anonymen Kommunikation in sozialen Medien bis hin zu der Unsicherheit, die Digitalisierung und Globalisierung mit sich bringen. Hinzu kommt die Agitation nach der Flüchtlingskrise.“

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