Tod bei Stadtfest Neuneinhalb Jahre Haft im Fall Chemnitz

Dresden · Ein Jahr nach dem Tod eines Deutschen auf einem Stadtfest wird ein Syrer schuldig gesprochen. Der Fall hatte hohe Wellen geschlagen.

 Der 24-jährige Alaa S. (M.) wurde verurteilt. Er soll mitschuldig am Tod von Daniel H. beim Stadtfest im Chemnitz vor einem Jahr sein.

Der 24-jährige Alaa S. (M.) wurde verurteilt. Er soll mitschuldig am Tod von Daniel H. beim Stadtfest im Chemnitz vor einem Jahr sein.

Foto: dpa/Matthias Rietschel

Auf dem Innenhof hinter dem Gericht fließen Tränen. Während im Foyer die Verteidigung des wegen Totschlags verurteilten Syrers den Gang in die nächste Instanz ankündigt, wird die frühere Lebensgefährtin von Daniel H. von Begleitern getröstet. Knapp ein Jahr nach dem Tod des 35-Jährigen durch Messerstiche sorgt das Urteil des Landgerichts Chemnitz am Donnerstag für unterschiedliche emotionale Reaktionen.

Neun Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe lautet die Entscheidung der Schwurgerichtskammer in Dresden, wo der Prozess aus Sicherheitsgründen stattfand. Nach 19 Verhandlungstagen sind die drei Berufsrichter und zwei Schöffen überzeugt: Alaa S. ist mitschuldig am Tod des Deutsch-Kubaners am Rande des Chemnitzer Stadtfestes am 26. August 2018 – und dafür soll er wegen gemeinschaftlichen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung hinter Gitter. Nach seinem mutmaßlichen irakischen Mittäter wird nach wie vor international gefahndet.

Die Verteidiger des 24-Jährigen reagieren erzürnt. Anwältin Ricarda Lang beklagt, das Urteil habe bereits zu Prozessbeginn festgestanden und wäre vor einem Gericht in den alten Bundesländern so nie gesprochen worden. „Ich bin auch davon überzeugt, wenn dieses Verfahren bei einem anderen Gericht stattgefunden hätte, wie zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, Hamburg oder wo auch immer, in einem anderen Bundesland, in einer anderen Stadt, dass es niemals zu einer Verurteilung gekommen wäre“, sagt Lang und kündigt Revision an. Sie unterstellt dem Gericht zwar keine Motive, es sei aber nicht unbeeinflusst von den politischen Verhältnissen in Chemnitz. Die Verteidiger hatten im Plädoyer einen Freispruch, die Aufhebung des Haftbefehls und eine Haftentschädigung aus Mangel an Beweisen gefordert.

Staatsanwalt Stephan Butzkies, der zehn Jahre Haft für den Angeklagten beantragt hatte, sieht sich in seiner Beurteilung bestätigt. Dass es irgendeine Einflussnahme auf ihn gegeben habe, weist er weit von sich. „Ich kann Ihnen versichern, dass auf mich persönlich von irgendwelchen übergeordneten Stellen in keiner Weise irgendwie Druck ausgeübt worden ist“, sagt er.

Nahezu regungslos nehmen die Schwester und die Mutter von Daniel H., die als Nebenklägerinnen im Saal sitzen, den Urteilspruch auf. Nach Verhandlungsende ziehen sie sich umgehend zurück. „Wir sind mit dem Urteil zufrieden“, gibt Anwalt Oliver Minkley als Vertreter der Schwester die Reaktion wieder.

In der Folge der Messerattacke auf dem Stadtfest war es im vergangenen Jahr in der Stadt zu rassistisch motivierten Übergriffen gekommen, die mehr als das Verbrechen selbst auch auf internationaler Ebene ein Schlaglicht auf Chemnitz warfen. Bilder von rechten Demonstrationen, Aufmärschen von Neonazis und Fußball-Hooligans, von Übergriffen sowie dem Zeigen des Hitlergrußes in zahlreichen Fällen gingen um die Welt.

Der Streit um die Frage, ob es „Hetzjagden“ auf ausländisch aussehende Menschen gegeben habe, wurde auf Bundesebene zur Zerreißprobe für die große Koalition aus Union und SPD – und führte letztlich dazu, dass der damalige Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, seinen Posten räumen musste. Er hatte laut einem Redemanuskript von teils „linksradikalen Kräften in der SPD“ gesprochen.

Nun richtet sich der Blick gleich wieder nach Chemnitz: Am Freitag beginnt ein Bürgerfest. Am Sonntag hat die rechtsextremistische Bewegung Pro Chemnitz eine Kundgebung geplant – und unmittelbar nach Urteilsverkündung auf Facebook zur Teilnahme aufgefordert.

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