Naturgesetz-Verhandlungen gesprengt Showdown in Brüssel

Brüssel · Unmittelbar vor der Entscheidung über das umstrittene Lieferkettengesetz der EU hat die christlich-konservative EVP-Fraktion die Verhandlung über die Renaturierungspläne gesprengt. Kommt es zu einem Stillstand der europäischen Gesetzesmaschine?

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch in der moldawischen Haupststadt Chisinau.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch in der moldawischen Haupststadt Chisinau.

Foto: AP/Andreea Alexandru

„Einfach nur destruktiv“, schäumte Grünen-Klimaexperte Michael Bloss am Mittwoch Nachmittag, nachdem die Versuche der Verhandler aller Fraktionen, einen gemeinsamen Weg zur Renaturierung der europäischen Natur zu finden, auf spektakuläre Weise gescheitert waren. Christine Schneider, rheinland-pfälzische CDU-Europa-Abgeordnete und Vertreterin der EVP in der Runde, stand auf und ging. Umgehend warf ihr die Amtskollegin von den Grünen, Jutta Paulus, „Sabotage des Green Deal“ vor. Unter dem Green Deal versteht die EU das zentrale Vorhaben von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die EU klimaneutral zu machen. Und ausgerechnet von der Leyens eigene europäische Parteienfamilie geht dagegen nun zum Angriff über.

Zuvor waren Abstimmungen bereits im Agrar- und Fischereiausschuss gescheitert. Eine Mehrheit aus EVP, Liberalen und Rechtspopulisten weigerte sich, in eine Kompromisssuche einzusteigen, wies stattdessen den Kommissionsvorschlag komplett zurück. Was dann geschah, bildete den politischen Hintergrund für die EVP-Entscheidung, die Vermittlungsbemühungen auch im federführenden Umweltausschuss des Parlamentes aufzukündigen. Die Kommission habe EVP-Vertreter zu Gesprächen eingeladen, sie zunächst gefragt, wie man zu einer Einigung komme und dann direkte Drohungen ausgesprochen, berichtet Schneider. Wenn die EVP hier nicht zustimme, würden auch andere Projekte nicht mehr umgesetzt. „Damit war klar eine Grenze überschritten, das konnten wir nicht hinnehmen“, erläutert die CDU-Politikerin. Sie stimmte sich mit ihren Fraktionskollegen ab und vollzog am Mittwoch den Auszug aus den Verhandlungen.

Aber auch inhaltlich können die Konservativen mit dem Gesetzesvorhaben nicht viel anfangen. Es sei „handwerklich sehr schlecht gemacht“, sei allein rückwärts gerichtet auf den Zustand der 1950er Jahre, berücksichtige die vielen Entwicklungen seitdem nicht und verhindere zudem noch den Ausbau und die Nutzung Erneuerbarer Energien. So führe die geplante Vorgabe, vorhandene Barrieren in Flüssen abzubauen und neue nicht mehr zuzulassen, um die Gewässer in ihren ursprünglichen Verlauf zurückkehren zu lassen, zu schwerwiegenden Auswirkungen für Wasserkraftwerke. Vorhandene müssten schließen, neue dürften nicht entstehen, erklärte Schneider. Bis heute habe die Kommission auch keine Auskunft darüber gegeben, welche Auswirkungen die Bewässerung früherer Moorgebiete haben werde. Und obwohl als Folge der Gesetzgebung jährlich 54 Milliarden Euro an finanziellen Belastungen entstünden, sei die Finanzierung nicht ausreichend geklärt.

„Wir befürchten massive Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit“, hob Schneider weiter hervor. Biodiversität dürfe nicht durch Nichtnutzung von Gebieten, sondern müsse zusammen mit der Land- und Forstwirtschaft erreicht werden. Dagegen schimpfte die Grünen-Verhandlerin Paulus knapp: „Verlierer dieser Machtspiele: Unsere Natur, unsere Landwirte, wir!“

Die finale Beschlussfassung in der Runde der Ausschüsse steht in der übernächsten Woche an. Danach ist das Plenum des Europa-Parlamentes in Straßburg an der Reihe. Schneider berichtet von vielen Abgeordneten, die das Gesetz zur Renaturierung ebenfalls aufhalten wollen. Daneben stehen auch Initiativen zur Pestizid- und Chemie-Gesetzgebung auf der Abschussliste. Bereits an diesem Donnerstag geht es darum, ob die Vorgaben für die Lieferketten nach dem Willen des EU-Parlamentes deutlich verschärft werden oder ob auch dieses Vorhaben vorerst beiseite gelegt wird. Auch auf der Seite des EU-Rates häuften sich zuletzt Stimmen, die eine „Pause“ in der EU-Gesetzgebung bei weiteren Auflagen für die Wirtschaft forderten. Angeführt wird diese Bewegung von keinem Geringeren als Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron.

Macron war derjenige, der von der Leyen seinen Kollegen im Europäischen Rat als Kommissionspräsidentin vorschlug. Die EVP wiederum ist gewillt, von der Leyen als nächste Spitzenkandidatin zu nominieren. Mit dem jüngsten Showdown kommt die von-der-Leyen-Kommission somit unter Druck von zwei Seiten, die bisher zu ihren wichtigsten Stützen gehörten.

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