„Natürlich will niemand ausgespäht werden“

Wegen der Kabinettssitzung war Volker Kauder mitten in der parlamentarischen Sommerpause für ein paar Tage in Berlin, ansonsten winkt Vorort-Wahlkampf. Mit unseren Hauptstadt-Korrespondenten Werner Kolhoff und Stefan Vetter sprach der 63-jährige Unions-Fraktionschef auch über ein besonders heikles Thema: seinen jüngeren Bruder Siegfried.

Herr Kauder, die Union liegt in den Umfragen haushoch vorn. Was kann den Wahlsieg eigentlich noch gefährden?
Kauder: Wir haben die Wahl noch nicht gewonnen. Deshalb werden wir uns in den verbleibenden Wochen nicht in Sicherheit wiegen, sondern massiv für unsere Positionen werben.

Kann Ihnen die Alternative für Deutschland gefährlich werden - oder generell das Thema Euro?
Kauder: Weder noch. Die Bevölkerung schätzt das sehr kluge und ruhige Krisenmanagement der Kanzlerin in der Euro-Krise.

Wie ernst nehmen Sie die Späh-Affäre?
Kauder: Ich nehme sie ernst, aber ich sehe auch, dass die Bevölkerung darauf sehr gelassen reagiert. Natürlich will niemand ausgespäht werden. Andererseits wissen die Leute, dass sie sich nur dann sicher fühlen können, wenn der Terrorismus bekämpft wird.

Wissen Sie, ob die NSA in Deutschland deutsche Internet-, Mail- und Telefonnutzer anzapft?
Kauder: Das weiß ich nicht.

Wissen Sie, ob die NSA europäische Institutionen abgehört hat?
Kauder: Das weiß ich auch nicht.

Als deutscher Politiker sollten sie aber ein Interesse daran haben, dass hierzulande Gesetze von einem ausländischen Geheimdienst eingehalten werden.
Kauder: Selbstverständlich fordere ich die Einhaltung der Gesetze. Auf der anderen Seite habe ich aber auch ein Interesse daran, dass eine Terrorgruppe wie die Sauerlandgruppe auffliegt, bevor sie Schaden anrichten kann. Dabei haben Hinweise der Amerikaner offenbar geholfen. Im Übrigen gilt: Geheimdienste heißen Geheimdienste, weil sie Geheimes tun.

Trotzdem gelten Gesetze.
Kauder: Dass auf deutschem Boden deutsche Gesetze eingehalten werden müssen, ist völlig klar. Und das erwarten wir auch von unseren Freunden. Die Kanzlerin hat dies am Wochenende genau so klar gesagt.

Die CSU will nun wieder über die Vorratsdatenspeicherung nachdenken. Was halten Sie davon?
Kauder: Wir sollten in Europa zu dieser Frage endlich eine einheitliche Haltung entwickeln und sie dann überall umsetzen. Dabei müssen wir auch die noch ausstehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs berücksichtigen. Dass Daten drei oder sechs Monate gespeichert werden und die Ermittlungsbehörden darauf nach richterlicher Anordnung zugreifen können, halte ich für akzeptabel. Danach sind sie zu löschen. Wir dürfen nicht riskieren, dass wieder ein schwerer Vorfall auf europäischem Boden passiert. Denn dann werden uns alle fragen: Warum haben wir keine Vorratsdatenspeicherung, warum habt ihr das nicht verhindert?

Die vielen Wahlversprechungen könnten der Union noch auf die Füße fallen. Niemand glaubt doch, dass sie finanzierbar sind.
Kauder: Wir haben im Regierungsprogramm konkrete Ziele benannt. Das erste Ziel heißt: Es geht weiter mit der Haushaltskonsolidierung. Ab 2016 sollen sogar erstmals Schulden zurückgezahlt werden. Alle weiteren Vorschläge stehen deshalb unter Finanzierungsvorbehalt - mit Ausnahme der Mütterrente. Deren Finanzierung ist bereits gesichert.

Liegt in der mangelnden Mobilisierung der Unionswähler eine Gefahr?
Kauder: In der Tat. Daran müssen wir arbeiten. Die meisten Mitglieder unserer Fraktion sind direkt gewählt. Sie sind ständig in Kontakt mit ihren Wählerinnen und Wählern.

Apropos Direktmandat: Ihr Bruder Siegfried ist in seinem Wahlkreis Villingen-Schwenningen nicht wieder von der CDU aufgestellt worden und kandidiert nun als unabhängiger Bewerber. Wie finden Sie das?
Kauder: Er kandidiert gegen einen von der CDU aufgestellten Kandidaten und will gleichzeitig Parteimitglied bleiben. Unabhängig von Familienzugehörigkeiten muss ich klar sagen: Das geht nicht. Ich bedauere sehr, dass es so weit gekommen ist.

Sie fordern ein Parteisausschlussverfahren?
Kauder: Daran führt nach meiner Auffassung kein Weg vorbei.

Haben Sie mit Ihrem Bruder darüber gesprochen?
Kauder: Ich habe es versucht, aber ich habe ihn nicht erreichen können.

Die Union kopiert viele Forderungen der SPD, etwa bei den Mieten oder bei der Lohnuntergrenze. Ist das Strategie?
Kauder: Wir unterscheiden uns deutlich von der SPD. Zum Beispiel wollen wir keine Steuererhöhungen. Aber natürlich gibt es Themen, bei denen in der Gesellschaft und in den Volksparteien große Übereinstimmung herrscht. Es ist ja nicht alles umkämpft. Das gibt uns eine Chance, bestimmte Fragen in der nächsten Periode im Bundesrat durchzubekommen.

Dann spekulieren Sie heimlich auf eine große Koalition.
Kauder: Nein, die wollen wir nicht. Wir wollen die christlich-liberale Zusammenarbeit fortsetzen. Trotzdem müssen wir mit der Bundesratsmehrheit umgehen.

Ein Wahlkampfrisiko ist vielleicht auch, dass die Wähler sich daran erinnern, wie schlecht Union und FDP zusammengearbeitet haben.
Kauder: Natürlich wissen die Wähler, dass es in dieser Koalition nicht immer nur harmonisch zuging. Sie wissen aber auch, mit der Bibel gesprochen: An den Früchten sollt ihr sie erkennen. Unsere Ergebnisse sind hervorragend. Vor allem will die große Mehrheit der Bevölkerung keine rot-grüne Regierung.

Sie versprechen nicht einmal, dass die Zusammenarbeit mit der FDP in den nächsten Jahren besser wird?
Kauder: Selbstverständlich muss und wird sie besser werden. Das habe ich mehrfach öffentlich gesagt.