Viel Skepsis wegen ambitionierter Verkehrsziele Bis 2030 sollen doppelt so viele Menschen mit der Bahn fahren

Berlin · Die Bundesregierung will am „Masterplan Schienenverkehr“ festhalten. Demnach sollen sich die Fahrgastzahlen bis 2030 verdoppeln. Das geht aus der Regierungsantwort auf eine Unionsanfrage hervor. Doch ist dieses Ziel überhaupt noch realistisch? Was Verkehrsexperten dazu sagen.

Die Bundesregierung hält an dem im „Masterplan Schienenverkehr“ festgelegten Ziel fest, die Verkehrsleistung im Schienenpersonenverkehr bis 2030 zu verdoppeln.

Die Bundesregierung hält an dem im „Masterplan Schienenverkehr“ festgelegten Ziel fest, die Verkehrsleistung im Schienenpersonenverkehr bis 2030 zu verdoppeln.

Foto: dpa/Bodo Marks

Pünktlichere Züge, mehr Verbindungen und doppelt so viele Bahnfahrer: Es sind ambitionierte Ziele, die im „Masterplan Schienenverkehr“ festgeschrieben wurden. Vor rund drei Jahren stellte der damalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CDU) das Vorhaben zur Weiterentwicklung der Bahn in Deutschland vor. Doch seitdem hat sich nicht nur in der Regierung einiges verändert: Ein interner Bericht der Bahn zeigte zuletzt, in welchem schlechten Zustand sich das deutsche Schienennetz befindet. Gleichzeitig berichten Fahrgäste von überfüllten oder ausfallenden Zügen, denn auch der Tarifstreit bei der Bahn dauert schon seit Monaten an.

Trotzdem hält die Regierung am ursprünglichen Ziel fest, die Verkehrsleistung im Schienenpersonenverkehr bis 2030 zu verdoppeln. Das bestätigt sie in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion. Mehr noch: „Es ist aus Sicht der Bundesregierung zwingend notwendig, die Verkehrswende mit politisch ambitionierten Zielen anzugehen“, heißt es darin. Nun arbeite man konsequent an der Umsetzung: „Unsere Strategie beinhaltet neben dem Deutschlandticket ein radikales Konzept zur Sanierung des Netzes genauso wie die Umstrukturierung des Konzerns inklusive einer gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte. Das gilt es nun Punkt für Punkt abzuarbeiten“, sagte Michael Theurer (FDP), Beuftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr, unserer Redaktion.

Die ersten Zahlen beim Deutschlandticket seien schon „sehr verheißungsvoll“, ergänzte er. Nach Angaben des Verbands deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) haben sich im Mai rund 700.000 Menschen entschieden, mit dem Deutschlandticket in den Öffentlichen Nahverkehr umzusteigen. Die Einführung des 49-Euro-Tickets rücke das Ziel der Fahrgastverdoppelung aber weiter in die Ferne, anstatt dazu beizutragen, wie der verkehrspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Thomas Bareiß, kritisierte. Dem CDU-Politiker zufolge müsste eigentlich massiv in Infrastruktur und neues Wagenmaterial investiert werden, um die zusätzlichen Fahrgäste auch transportieren zu können, anstatt mit den hierfür notwendigen Mitteln ein Monatsticket vor allem für Leute in den Städten und Ballungsräumen zu finanzieren. „Wenn die Bundesregierung die Probleme bei der Bahn nicht zügig in den Griff bekommt, sehe ich das Ziel der Verdopplung der Fahrgastzahlen ernsthaft in Gefahr“, so Bareiß.

Doch wie realistisch ist dieser Plan überhaupt? „Wir sind äußerst skeptisch, was das Ziel der Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis 2030 anbelangt“, sagte Detlef Neuß, Bundesvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn. Die aktuellen Kapazitäten bei der Infrastruktur, dem Personal und den Fahrzeugen seien zur Erreichung der Ziele derzeit völlig unzureichend. Das neu eingeführte Deutschlandticket kann Neuß zufolge zur Erfüllung der Ziele beitragen – aber nicht so lange das Angebot unzureichend ist. Über den kritischen Zustand der aktuellen Infrastruktur herrscht allgemeine Einigkeit unter den Experten. „Da muss Vieles besser werden, das steht außer Frage“, betonte auch VDV-Präsident Ingo Wortmann.

Die Herausforderung: Kapazitäts- und Infrastrukturausbau seien lang laufende Themen, die sich selten kurzfristig ändern lassen. „Trotzdem müssen wir beim Planen und Bauen deutlich schneller werden als in der Vergangenheit, denn sonst strömen – auch zum Beispiel durch das Deutschland-Ticket – immer mehr Menschen in unsere Busse und Bahnen und treffen dort immer häufiger auf ein Angebot, das nicht verlässlich oder ausreichend ist“, so Wortmann.

Dirk Flege, Geschäftsführer des Interessenverbands „Allianz pro Schiene“, spricht von einem ambitionierten Ziel, das bei „konsequentem politischen Handeln“ aber durchaus realistisch sei. Er fordert, dass die Politik die Weichen für dichtere Takte und mehr Angebote stellt. Neben mehr Kapazitäten im Schienennetz brauche es auch eine Angebotsoffensive im ÖPNV: Mehr Busse und Bahnen, ein dichteres Netz und bessere Anschlüsse bis in den ländlichen Raum. „Vieles davon hat die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag bereits angekündigt – jetzt muss die Politik auch liefern“, unterstrich Flege.

Der Geschäftsführer des Verbands der Bahnindustrie, Axel Schuppe, setzt hingegen auf „neue Wege der Zusammenarbeit zwischen den beteiligen Akteuren“, wie er sagte. Dass Schieneninfrastrukturvorhaben durch schlankere Kooperationsmodelle deutlich zügiger umgesetzt werden könnten, hätten zuletzt die Projekte des Schnellläuferprogramms erfolgreich bewiesen. Jetzt gehe es vor allem um eins: schnelles Handeln. „Um ins Machen zu kommen, müssen die Empfehlungen der Beschleunigungskommission Schiene (BKS) rasch umgesetzt werden“, forderte Schuppe. Dabei könnten mit kleinen Anpassungen – wie dem Verzicht auf Einzelfallbetrachtungen bei Elektrifizierungsmaßnahmen von Bestandsstrecken – große Zeitgewinne verbucht werden.

(jus)
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