"Man darf Schuldenstaaten nicht in die Enge treiben"

Berlin · Noch ist die Euro-Krise nicht in der Realwirtschaft angekommen, auch weil die deutsche Industrie so stark ist. Allerdings drohen im nächsten Jahr Vorboten einer Kreditklemme, meint Hans Heinrich Driftmann, Präsident des Deutschen Industrie- und Handeslkammertages (DIHK). Mit dem 63jährigen Chef der Köllnflockenwerke sprach unser Korrespondent Werner Kolhoff.

Die deutsche Wirtschaft steht mitten in der internationalen Finanzkrise erstaunlich robust da. Woran liegt das?
Hans Heinrich Driftmann: Es gibt dafür viele Faktoren: Unsere starke industrielle Basis, viele Innovationen, die Lohnzurückhaltung und vor allem der starke und sehr solide Mittelstand. Das alles macht unsere Stärke in Deutschland aus.

Die viele zu der Annahme verleitet: Wir bräuchten die anderen EU-Länder gar nicht, wir kämen gut allein klar.
Hans Heinrich Driftmann: Die anderen EU-Länder sind für uns nicht nur sehr wichtige Märkte, in die wir exportieren. Es geht weit darüber hinaus: Es geht darum, dass Europa nur gemeinsam im globalen Konzert eine Rolle spielen kann. Das gemeinsame Demokratieverständnis, die gemeinsame europäische Vorstellung vom ehrbaren Kaufmann, auch das europäische Sozialstaatsmodell, all das können wir nur gemeinsam verteidigen, alleine nicht.

Es wird schon mit dem Gedanken gespielt, ein Kerneuropa der starken Staaten zu bilden, mit einem Elite-Euro.
Hans Heinrich Driftmann: Das sind Varianten, die wir als DIHK komplett ablehnen. Wir haben uns mit solchen Überlegungen beschäftigt und kommen bei allen Analysen immer wieder zu dem gleichen Ergebnis: Vertiefung der Integration statt Auflösung und Rückkehr in die Kleinstaaterei. Dazu gibt es keine sinnvolle Alternative.

Hat die Bundesregierung in der Euro-Krise bisher alles richtig gemacht?
Hans Heinrich Driftmann: Unter dem Strich hat die Bundesregierung politisch richtig agiert, insbesondere Frau Merkel. Das heißt nicht, dass ich das politische Marketing immer in gleicher Weise positiv wahrnehme. Man muss mehr für Lösungen werben, man muss die Menschen mitnehmen, gerade in den Krisenstaaten Europas. Deren Regierungen, die harte Maßnahmen beschließen sollen, müssen dafür ja auch Akzeptanz finden. Man darf sie deshalb nicht zu sehr in die Enge treiben.

Wie groß ist die Gefahr, dass die Euro-Krise 2012 die Realwirtschaft erreicht?
Hans Heinrich Driftmann: Im Moment sehen wir vor allem psychologische Auswirkungen, weniger faktische.

Auch keine Kreditklemme?
Hans Heinrich Driftmann: Nein, aktuell nicht. Aber Risiken für die Unternehmensfinanzierung bestehen schon. Wir befürchten, dass es im nächsten Jahr vor allem bei Innovationen und Gründungen zu Finanzierungsengpässen kommen wird.

Im Jahr 2011 hatte die schwarz-gelbe Regierung in den Umfragen in keinem Monat mehr eine Mehrheit. Sind sie zufrieden mit der Arbeit des Kabinetts?
Hans Heinrich Driftmann: Es gibt Licht und Schatten. Die die Eurokrise betreffenden Entscheidungen waren im Wesentlichen richtig. Aber in einigen anderen Politikbereichen sind Fragezeichen zu setzen.

Zum Beispiel?
Hans Heinrich Driftmann: In der internationalen Politik. Die Enthaltung beim Libyen-Einsatz war sicher ein Fehler. Aus meinen Gesprächen mit Vertretern der Auslandshandelskammern in Nordafrika weiß ich, dass dies kritisch aufgenommen wurde. Das macht es der der deutschen Wirtschaft kurzfristig sicher nicht leichter, mit den neuen Kräften ins Gespräch zu kommen. Dabei hätte eine Zustimmung zum Nato-Militäreinsatz nicht bedeutet, dass sich Deutschland auch direkt hätte militärisch engagieren müssen.

Wie beurteilen Sie die Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel?
Hans Heinrich Driftmann: Die Zuwanderung von ausländischen Fachkräften muss Bestandteil eines Gesamtkonzepts zur Fachkräftesicherung sein. Die aktuellen Zuwanderungsregelungen sind zu starr und zu wenig transparent. Die Regierung hat nun richtige Schritte zur Erleichterung angekündigt. Perspektivisch sollte Deutschland stärker auf eine gesteuerte Zuwanderung setzen.

Sind Sie mit der Steuerpolitik der Regierung zufrieden?
Hans Heinrich Driftmann: Immerhin wird der Einstieg in die Steuerreform mit der beabsichtigen Abmilderung der kalten Progression jetzt sichtbar. Zwar noch sehr vorsichtig, aber es ist ein Einstieg. Wir würden uns wünschen, dass auch andere Webfehler der auf den Prüfstand gestellt werden, etwa die Tatsache, dass derzeit in der Gewerbesteuer Kosten so behandelt und besteuert werden, als seien sie Gewinne, oder die unterschiedlichen Umsatzsteuersätze. Aber auch wir wissen: Eine durchgreifende Reform der Unternehmensbesteuerung muss - soweit sie sich nicht selbst trägt - gegenfinanziert werden. Hierfür biete ich der Politik deshalb Gespräche über einen Subventionsabbau an.

SPD und Grüne haben Steuererhöhungen beschlossen. 49 Prozent Spitzensteuersatz und eine Vermögenssteuer. Wie beurteilen sie diese Entscheidungen?
Hans Heinrich Driftmann: Sie sind hochgefährlich, weil sie die Basis des deutschen Mittelstandes angreifen. Darauf beruht die Stabilität der deutschen Wirtschaft. Mittelständler, zumal Familienunternehmen, werden durch eine Vermögensteuer erheblich belastet. Was an den Staat abgeführt werden muss, fehlt für Investitionen, Innovationen und letztlich für Arbeitsplätze.

Andererseits steht in der Krise die Legitimation des Kapitalismus in Frage. Stichwort Occupy-Bewegung.
Hans Heinrich Driftmann: Es gab ohne Zweifel Deformationen, vor allem im Finanzsystem. Etwa die überzogenen Bonuszahlungen. Das waren Auswüchse, die dem Ansehen der Wirtschaft insgesamt abträglich sind. Aber noch einmal: Über 90 Prozent der deutschen Unternehmen sind Mittelständler. Die können weder rumspekulieren noch derartige Boni zahlen. Man sollte nicht von wenigen Ausreißern auf das ganze System schließen und letztlich diejenigen schädigen, die hier die Ärmel aufkrempeln.

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