FDP-Parteitag in Berlin Liberale „Signale“ in Krisenzeiten

Berlin · Die FDP absolviert einen Corona-Parteitag – und stärkt ihren schwächelnden Vorsitzenden Lindner. Kritik wird indes auch laut.

           Über die „Mission Aufbruch“ sprach der FDP-Vorsitzende Christian Lindner am Samstag beim Bundesparteitag in einem Berliner Hotel. Hinter ihm auf der Bühne prangte – in liberalem Pink gehalten – als Symbol des deutschen Wirtschaftswunders das digitalisierte Bild der Baumpflanzerin vom 50-Pfennig-Stück aus alten D-Mark-Zeiten; allerdings ganz modern mit Smartwatch.

Über die „Mission Aufbruch“ sprach der FDP-Vorsitzende Christian Lindner am Samstag beim Bundesparteitag in einem Berliner Hotel. Hinter ihm auf der Bühne prangte – in liberalem Pink gehalten – als Symbol des deutschen Wirtschaftswunders das digitalisierte Bild der Baumpflanzerin vom 50-Pfennig-Stück aus alten D-Mark-Zeiten; allerdings ganz modern mit Smartwatch.

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Die 662 Delegierten des FDP-Parteitages sitzen in großzügigem Abstand voneinander und müssen Masken tragen, wenn sie herumlaufen. „Bitte bilden Sie keine Grüppchen“, mahnt die Sitzungsleitung. Jeder Teilnehmer bekommt eine Lunch-Tüte, bedruckt mit dem Wort „Aufstiegskraft“. Sandwich, Müsli-Riegel, Apfel. Nur wenige Pressevertreter sind zugelassen, sie sitzen auf der Balustrade des Berliner Tagungshotels – ohne Tüte.

Es ist die erste reale Zusammenkunft einer Partei in diesem Jahr unter Corona-Bedingungen und damit auch ein Test. Etwa für die CDU, die im Dezember einen Vorsitzenden wählen muss. Würde nicht die Satzung jährliche Treffen vorschreiben, die FDP hätte die Tagung an diesem Samstag in der Hauptstadt auch ausfallen lassen können. Denn es gibt nichts Wichtiges zu entscheiden. Auf der Tagesordnung steht ein Leitantrag des Vorstandes mit dem umständlichen Titel „Aufbruch vom Jahr der Krisen ins Jahrzehnt des Aufstiegs“. Darin dominieren die alten Forderungen und Floskeln der Partei: „Weltbeste Bildung“ strebt die FDP genauso weiter an wie eine komplette, sogar rückwirkende Abschaffung des Solidaritätszuschlages, Steuersenkungen und eine „Wirtschaftswunder-Strategie“.

In seiner Rede kritisiert Parteichef Christian Lindner die Schuldenpolitik der Regierung, die nicht nachhaltig sei. Damit sei die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt auf Dauer nicht zu halten. Die Politik müsse vom Krisen- wieder in den Handlungsmodus wechseln und wieder mehr wirtschaftliche Dynamik erzeugen. Deutschland brauche eine „Entfesselung“. Lindner lässt auf dem Parteitag mit dem rheinland-pfälzischen Wirtschaftsminister Volker Wissing einen neuen Generalsekretär wählen, der dieses Profil schärfen soll. „Veränderte taktische Gegebenheiten“ machten den Wechsel von Linda Teuteberg zu Wissing nach nur eineinhalb Jahren notwendig, sagt er. Wissing bekommt 82,7 Prozent der Stimmen, kein überragender Start.

Lindner verkauft die Durchführung des Treffens gegenüber den Journalisten als bewusstes „Signal“, dass man in der Politik wie im Leben wieder zu mehr Normalität kommen wolle und könne. In Wirklichkeit dient der Parteitag auch der Stabilisierung des Vorsitzenden selbst. Denn der ist im achten Jahr seiner quasi absoluten Regentschaft über die deutschen Liberalen in eine Krise geraten. Die Partei dümpelt in den Umfragen bei knapp sechs Prozent. Die Haltung zu den Corona-Einschränkungen war nicht immer klar. Dann kam der Eklat um die Landtagswahl in Thüringen und zuletzt folgte die Ablösung Teutebergs. „Nein, es läuft nicht gut“, sagt die junge Delegierte Tabea Gandelheidt später in der Debatte.

Zwar trauern der scheidenden Generalsekretärin Teuteberg nicht viele nach, weil sie die Partei kaum profilieren konnte, aber alle wissen, dass das unter einem so dominanten Vorsitzenden auch schwer ist. Außerdem fällt nun allenthalben auf, dass die FDP keine einzige Frau von Rang mehr an der Spitze hat, zumal auch die stellvertretende Parteichefin Katja Suding ihren Rückzug angekündigt hat. Zu allem Überfluss missglückt Christian Lindner auch noch die Verabschiedung Teutebergs. Sein Spruch, er habe mit ihr ungefähr 300 Mal den Tag begonnen, samt Kunstpause und hinterhergeschobenem „Nicht, was ihr denkt“, gemeint seien die Morgenbesprechungen, wirkt wie ein Herrenwitz. Obwohl Lindner tags darauf auf Twitter bestreitet, es so gemeint zu haben, erntet er im Internet einen wahren Shitstorm, an dem sich sogar Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt beteiligen.

In der Aussprache gibt es beim Parteitag ein paar kritische Beiträge. Er sei mit den Umfragen und Wahlergebnissen nicht zufrieden, sagt der Chef der Jungen Liberalen, Jens Teutrine. „Wir sind satt geworden seit der Rückkehr in den Bundestag“, ergänzt der schleswig-holsteinische Delegierte Helmer Krane. Lindner redet eine Stunde, wie immer frei. Er spricht die Kritikpunkte alle an, auch einen, der schon drei Jahre zurückliegt: seine damalige Absage an eine Jamaika-Koalition mit CDU und Grünen. Er stehe zu der Entscheidung, räume aber ein, bei der Kommunikation der Gründe Fehler gemacht zu haben. Diese Selbstkritik, das zeigt der Beifall, kommt bei den Delegierten an. Ebenso wie Lindners Aussage, die FDP wolle beim nächsten Mal mitregieren. „Wir spielen auf Sieg“.

 Neuer FDP-Genarelsekretär ist der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Volker Wissing.

Neuer FDP-Genarelsekretär ist der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Volker Wissing.

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Es ist ein gewisser Glücksumstand für den 41-jährigen Vorsitzenden, dass das liberale Urgestein Hermann Otto Solms in Berlin nach fast 30 Jahren sein Amt als Schatzmeister abgibt. „Ich melde mich ab, vielen Dank“, sagt der 79-Jährige bewegt. Während des langen Applauses springt Lindner auf die Bühne und schlägt spontan vor, Solms zum Ehrenvorsitzenden der Liberalen zu machen, den vierten nach Walter Scheel, Otto Graf Lambsdorff und Hans-Dietrich Genscher. Der Beschluss fällt einstimmig, und mit dem so Geehrten sind 662 Delegierte gerührt über die positive Stimmung, die jetzt für einen Moment wie ein Aerosol im Raum steht, allerdings coronafrei. „Mission Aufbruch“ prangt als Motto über der Bühne. Und als Symbol des deutschen Wirtschaftswunders das digitalisierte Bild der Baumpflanzerin vom 50-Pfennig-Stück aus alten D-Mark-Zeiten.

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