Interview Karl Lauterbach „Ein Impfgipfel kann für Transparenz sorgen“

Berlin · Der SPD-Gesundheitsexperte begrüßt ein Bund-Länder-Treffen gegen das Impfchaos – und schlägt eine „simple Regelung“ für den Lockdown-Abbau vor.

 Karl Lauterbach (SPD)

Karl Lauterbach (SPD)

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Immer weniger Neuansteckungen, aber ein wachsendes Impfchaos. Was deshalb jetzt zu tun ist, erklärt der Epidemiologie und SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach im Interview.

Herr Lauterbach, erstmals seit drei Monaten wurden weniger als 100 Neuinfektionen auf 100 000 Einwohner in sieben Tagen gemeldet. Greift der Lockdown endlich?

LAUTERBACH Der Lockdown greift schon seit einigen Wochen. Die aktuelle Inzidenz ist ein sehr gutes Zeichen, aber noch kein Grund, vom Gas zu gehen. Denn von der Mindest-Ziel-Inzidenz 50 sind wir noch weit entfernt. Wenn wir wirklich verhindern wollen, dass sich die neuen Mutationen in Deutschland flächendeckend ausbreiten, dann muss auch der R-Wert unter die Marke von 0,7 gedrückt werden. Derzeit liegt er noch bei etwa 0,8, das heißt, zehn Infizierte stecken acht weitere Personen an.

Schleswig-Holstein hat bereits einen Stufenplan entwickelt, welche Maßnahmen  bei welcher Inzidenz zu lockern wären. Ist das ein gangbarer Weg, um den Menschen wieder Hoffnung zu machen?

LAUTERBACH Ich halte eine viel simplere Regelung für zielführend: Wir müssen es schaffen, den  R-Wert unter 0,7 zu halten und die Neu-Inzidenz unter 25. Erst dann kann man sicher sein, dass sich die neuen Mutationen in Deutschland nicht ausbreiten. Beide Werte wären auch besser haltbar, weil die Gesundheitsämter dann wieder sämtliche neue Fälle nachverfolgen können.

Und dann kann man auch über Lockerungen sprechen?

LAUTERBACH Genau, wenn diese beiden Ziele erreicht sind, können die Lockerungen beginnen. Aber wirklich erst dann. Ansonsten werden wir im Sommer erneut große Problem bekommen.

Die Bundesregierung plant jetzt Einreisesperren für Personen aus Ländern mit vielen Corona-Mutationen. Hätte das nicht schon viel früher geschehen müssen?

LAUTERBACH Es macht keinen Sinn, nach hinten zu blicken. Aber dieses Vorhaben ist ganz sicher ein absolut notwendiger Schritt in die richtige Richtung.

Das Impfchaos scheint immer größer zu werden. Astrazeneca kann die vereinbarten Impfstoffmengen nicht liefern. Wie lässt sich das Problem lösen?

LAUTERBACH Wir müssen mit den Unternehmen verhandeln, wie und wo zusätzliche Produktionskapazitäten für Impfstoffe aufgebaut werden können…

Bislang hat sich die EU daran die Zähne ausgebissen.

LAUTERBACH Dann müssen einzelne Länder, auch Deutschland, mit dem Unternehmen direkt verhandeln. Da darf man nicht ideologisch sein. Nötig sind pragmatische Lösungen, um die Produktionskapazitäten in Europa auszuweiten.

Die Grünen plädieren für Zwangslizenzen, damit auch Konkurrenzfirmen den Impfstoff herstellen können. Was halten Sie davon?

LAUTERBACH Gar nichts. Zwangslizenzen können das Problem nicht lösen, weil die Impfstoffe von Astrazeneca oder Biontech extrem schwer zu produzieren sind. Die Qualität muss stimmen. Andere Firmen hätten binnen kürzester Zeit dafür nicht das notwendige Knowhow. Da reden wir nicht von Feinchemie, sondern von angewandter Genetik.

Was kann der geplante Impfgipfel von Bund und Ländern bewirken?

LAUTERBACH Ein Impfgipfel kann für Klarheit sorgen, welche Impfungen wann realistisch erwartbar sind. Das bedeutet auch Transparenz bei den Impfmengen, sodass die Länder planen können. Idealerweise müssen natürlich auch die Pharmaunternehmen teilnehmen.

Ist das Versprechen der Bundesregierung noch haltbar, bis Ende des Sommers jedem ein Impfangebot zu machen?

LAUTERBACH Ja, ich gehe davon aus, dass man bis Ende September jedem ein solches Angebot machen kann. Ob bis Ende September dann auch jeder geimpft werden kann, oder ob sich das noch über den Rest des Jahres zieht, steht allerdings dahin.

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