„Kein Rabatt für Erdogan“

Berlin · Für die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, ist die Visafreiheit für türkische Bürger auch ein Signal an die demokratischen Kräfte im Land. Bei der Flüchtlingsverteilung sei ein Europa der zwei Geschwindigkeiten notwendig, so Göring-Eckardt im Gespräch mit unser Zeitung.

 Katrin Göring-EckardtLocation:Berlin

Katrin Göring-EckardtLocation:Berlin

Foto: Kay Nietfeld/dpa



Frau Göring-Eckardt, wie reif ist die Türkei für die Visafreiheit?
Katrin Göring-Eckardt:
Die Bürger in der Türkei sind es auf jeden Fall. Das gilt für Geschäftsleute, aber ebenso für junge Türken, die dann sehen können, wie Demokratie auch funktioniert.

Das heißt im Umkehrschluss, die Regierung in Ankara ist noch nicht reif dafür?
Katrin Göring-Eckardt:
Die Visafreiheit gilt für die Bürger. Das ist das Wichtige. Sie ist schon lange vereinbart gewesen. Eine erleichterte Einreise für türkische Staatsbürger in die EU fördert den Austausch und ist gerade auch für die demokratischen Kräfte in der Türkei ein wichtiges Signal der Unterstützung. Das hätte es schon längst gebraucht. Schade ist, dass die EU sich erst jetzt dazu bewegt hat - nicht, weil sie die demokratischen Kräfte in der Türkei unterstützen will, sondern weil sie sich von Erdogan abhängig gemacht hat. Die EU will sich Flüchtlinge vom Hals halten. Das ist der Deal. Und daraus macht Präsident Erdogan jetzt seine eigene Geschichte, was ich für hochproblematisch halte.

Ist die EU in der Hand von Erdogan?
Katrin Göring-Eckardt:
Ja - und zwar selbst verschuldet. Es darf für Erdogan keinen Rabatt geben. Auch und gerade nicht bei Themen wie der Meinungsfreiheit. Erdogan muss jetzt auch wirklich die noch ausstehenden Bedingungen für die Visafreiheit erfüllen. Darauf muss die EU bestehen. Wir müssen uns klar machen: Der EU-Türkei-Deal löst nicht die Flüchtlingsfrage, sondern vertagt sie nur. Die Menschen werden doch nicht geruhsam in der Türkei bleiben. Sie werden sich neue Routen suchen und wieder vor unseren Grenzen stehen.

Helfen dann Flüchtlingsquoten und Strafzahlungen, wie die EU-Kommission jetzt vorschlägt?
Katrin Göring-Eckardt:
Nicht alle Länder in Europa wollen Menschen aufnehmen, die Standards in einzelnen EU-Staaten sind darüber hinaus unterschiedlich. Alles, was für eine Angleichung und bessere Verteilung sorgt, ist richtig. Dass derjenige, der da nicht mitmacht, zahlen muss, finde ich angemessen.

Osteuropa zeigt der EU aber bereits die kalte Schulter.
Katrin Göring-Eckardt:
Dennoch ist das Vorgehen der EU richtig. Wenn ich mir anschaue, wie wenige Menschen derzeit in Deutschland ankommen und dass viele Bürgermeister klagen, weil langfristig angemietete Unterkünfte leer stehen, dann sage ich: Bei der Flüchtlingsverteilung brauchen wir eine neue Form des Europas der zwei Geschwindigkeiten. Die Länder, die wie Deutschland eine Infrastruktur aufgebaut haben, sollten zuerst Menschen aufnehmen. So könnte man den Osteuropäern entgegenkommen. Und ich finde: Deutschland sollte hier in Vorleistung gehen und sofort wenigstens Flüchtlinge aus Idomeni in Griechenland aufnehmen.

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