Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz verzichtet auf zweite Amtszeit Warum ausgerechnet jetzt, Kardinal Marx?

München/Rom · Gerade hat die katholische Kirche in Deutschland einen tiefgreifenden Reformprozess gestartet, da wirft der Chef der Bischofskonferenz plötzlich hin.

Der Rückzug des Münchner Kardinals Reinhard Marx vom Vorsitz der Deutschen Bischofskonferenz könnte für die katholische Kirche in Deutschland zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen. Denn gerade erst vor wenigen Wochen hat die Kirche mit ihren 23 Millionen Mitgliedern einen tiefgreifenden Reformprozess begonnen, den Synodalen Weg.

Dabei geht es um alle brisanten Themen: die überkommene Sexualmoral, die untergeordnete Stellung der Frauen, die erzwungene Ehelosigkeit der Priester, die dazu führt, dass sich kaum noch jemand für den Job findet, und der Umgang mit Macht in einer Institution, die noch immer wie eine absolutistische Monarchie organisiert ist.

Marx war der Macher dieses Reformprozesses, er hat ihn als Reaktion auf das Bekanntwerden massenhaften sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Priester wesentlich mit angeschoben. Die Ankündigung, auf eine zweite Amtszeit zu verzichten, kam deshalb am Dienstag als große Überraschung. Marx‘ Begründung: Er ist 66, wird langsam alt. „Ich finde, es sollte die jüngere Generation an die Reihe kommen.“ Wirklich überzeugend klingt das nicht, denn Marx hatte den Posten noch vor ein paar Jahren unbedingt haben wollen. Und jetzt der Verzicht, damit ein Jüngerer zum Zuge kommt?

In Rom wirkte Marx zuletzt zunehmend gestresst und frustriert. Immer wieder grätschte der Vatikan bei Entscheidungen zur Modernisierung der Kirche in Deutschland dazwischen. Erst letzte Woche war Marx beim Papst, um ihn über den Synodalen Weg zu informieren. Gab er dem Pontifex da schon seine Entscheidung bekannt? Der Vatikan äußerte sich dazu zunächst nicht, auch nicht, ob Marx‘ Entscheidung in irgendeiner Art dessen Position im Kardinalsrat des Papstes berührt.

Das Timing des Abgangs ist jedoch äußerst bemerkenswert: Diesen Mittwoch veröffentlicht der Vatikan das Lehrschreiben von Papst Franziskus zur Amazonas-Synode. Dabei geht es auch um die Frage, ob in der abgelegenen Region verheiratete Männer in Ausnahmefällen als Priester zugelassen werden dürfen. Das hatte eine Mehrheit der Bischöfe auf der Synode gefordert, um den Priestermangel dort zu beheben. Würde Franziskus diesem Vorstoß einen Riegel vorschieben oder die Entscheidung verschieben, wäre das auch ein Rückschlag für die Reformer und den Synodalen Weg in Deutschland. Die römische Kurie – die Zentralverwaltung im Vatikan – hat die deutschen Schäfchen bereits unmissverständlich darauf hingewiesen, dass in grundlegenden Fragen nur die Weltkirche – sprich: Rom – entscheiden kann. Und nicht das Heimatland des Reformators Martin Luther.

Bei Marx‘ Entscheidung dürften mehrere Gründe zusammenkommen, es geht sicherlich nicht nur um Franziskus-Frust. „Das waren ja eher Kölner kleinkarierte Intrigen mit subalternen römischen Höflingen“, spottet der Kirchenrechtler Thomas Schüller. Er spielt damit auf die Querschüsse des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki an, der sich dem Synodalen Weg widersetzt. Mit Leichenbittermiene hatte Woelki bei der ersten Synodalversammlung vor zwei Wochen in Frankfurt erklärt, alle seine Befürchtungen seien bestätigt worden: Hier entstehe ein „protestantisches Kirchenparlament“. Woelki ist unter den Bischöfen aber ziemlich isoliert und bekommt Gegenwind aus dem eigenen Bistum.

Was immer Marx‘ Beweggründe sind: Nun müssen die Männer in Rot und Lila dringend eine andere couragierte Persönlichkeit finden, die den Synodalen Weg weiterführen kann. Der Nachfolger des seit 12. März 2014 amtierenden Marx wird am 3. März in Mainz gewählt. Zur Wahl stehen alle 27 Diözesanbischöfe, mitwählen können aber auch die unter ihnen stehenden Weihbischöfe. Schüller ist sicher, dass Marx „clever“ genug ist, seine Nachfolge schon weitgehend geregelt zu haben: „Ich tippe auf Overbeck.“

Sollte tatsächlich der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck (55) gewählt werden, wäre das ein großer Erfolg für den Reformflügel. Overbeck gilt als einer der Oberhirten, die Missstände am härtesten angeprangert und mit dem größten Nachdruck Veränderungen gefordert haben. So äußerte er sich in seiner Neujahrspredigt ungewöhnlich kritisch über den Zölibat: Die verpflichtende Ehelosigkeit sei „für nicht wenige Priester eher eine schwere Last und keine Befreiung für einen größeren Dienst“. Zu möglichen Ambitionen Overbecks gab es am Dienstag – erwartungsgemäß – keinen Kommentar.

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