Braun-Vorschlag zur Schuldenbremse Braun versetzt die Union in Aufruhr

Berlin · Der Kanzleramtschef stößt mit seiner Idee zur Entschärfung der Schuldenbremse auf heftige Kritik in den eigenen Reihen.

  Kanzleramtschef Helge Braun will die Schuldenbremse aussetzen und dafür das Grundgesetz ändern.

Kanzleramtschef Helge Braun will die Schuldenbremse aussetzen und dafür das Grundgesetz ändern.

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Wird die Schuldenbremse wegen der Corona-Pandemie zu Grabe getragen? Als erster prominenter Regierungsvertreter wagte sich am Dienstag Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) aus der Deckung. Die Schuldenbremse sei „in den kommenden Jahren auch bei ansonsten strenger Ausgabendisziplin nicht einzuhalten“, schrieb er in einem Zeitungsbeitrag und forderte eine Grundgesetzänderung. Das sorgte für heftige Unruhe in den eigenen Reihen. Am Dienstag stellte er dann klar, dass er die Schuldenbremse im Grundgesetz nicht aufgeben will. „Mein Vorschlag, wie man den Weg zur schwarzen Null nach der Pandemie gesetzlich vorzeichnet, zielt darauf ab, verbindlicher als fortgesetzt mit der Notklausel zu handeln, und nicht die Schuldenregel in Frage zu stellen“, erklärte er auf Twitter.

Bislang hatten vor allem Grüne und Linke kaum ein gutes Haar an der Schuldenbremse gelassen. Nun argumentierte auch Braun für eine Verfassungsänderung, um die Regelung wenigstens für die „kommenden Jahre“ außer Kraft zu setzen. Stattdessen solle es einen „verlässlichen degressiven Korridor“ bei der Neuverschuldung geben. Die Verfassungsänderung soll laut Braun auch ein „klares Datum für die Rückkehr zu Einhaltung der Schuldenregel“ beinhalten. Den Termin ließ der Merkel-Vertraute aber offen.

In der Union galt bislang das Ziel, die Schuldenbremse bereits im kommenden Jahr wieder einzuhalten. Laut Grundgesetz darf der Bund nur in geringem Maße Schulden aufnehmen, höchstens im Umfang von 0,35 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Das gilt seit mehr als zehn Jahren. Doch dann kam Corona, die Einnahmen schwanden und die Ausgaben stiegen exorbitant an. Deshalb wurden die strengen Auflagen per Parlamentsbeschluss für die Bundeshalte 2020 und 2021 ausgesetzt. Auch das lässt das Grundgesetz bei „außergewöhnlichen Notsituationen“ zu. Bedingung ist in solchen Fällen aber ein Tilgungsplan, um die hohen Verbindlichkeiten „binnen eines angemessen Zeitraumes“ wieder abzutragen. Für die im Haushaltsjahr 2020 entstandenen Schulden wurde deshalb festgelegt, dass ab 2023 jeweils rund 1,9 Milliarden Euro in 20 Jahreschritten abzustottern sind. Für das Haushaltsjahr 2021 sind nach vorläufigen Berechnungen ab 2026 jeweils sechs Milliarden Euro in 17 Jahresschritten zu tilgen. Die gesamte Prozedur dauert also bis zum Jahr 2043, wobei ab 2026 jährlich insgesamt rund acht Milliarden Euro für den Schuldenabbau gebunden wären.

An diesem Tilgungsplan will auch Braun nicht rütteln. Ihm geht es um die nächsten Haushaltsaufstellungen für die Zeit ab 2022. Das Problem: Würde die Schuldenbremse schon im kommenden Jahr wieder greifen, könnte der Bund nur noch etwa zehn Milliarden Euro an neuen Krediten aufnehmen – nach fast 180 Milliarden Euro geplanter Neuverschuldung in diesem Jahr. Eine solche Vollbremsung dürfte wohl nur gelingen, wenn die Corona-Pandemie rasch abflaut und die Konjunktur wahre Purzelbäume schlägt. Zugleich forderte der Kanzleramtsminister den Verzicht auf jedwede Steuererhöhung und eine Begrenzung der Sozialabgaben auf 40 Prozent des Bruttolohns. 

Seine Idee war allerdings nicht mit den Unionsspitzen abgesprochen. Erst am Dienstagmorgen, als der Plan längst über die Ticker der Nachrichtenagenturen lief, versuchte Braun CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt telefonisch zu erreichen. Der saß zu diesem Zeitpunkt mit Journalisten zusammen und hatte kurz vorher auf die Frage, ob er und CSU-Parteichef Markus Söder in Brauns Pläne eingeweiht gewesen seien, mit einem klaren „Nein!“ geantwortet. Söder sprach später von einem „falschen Signal“.

Dem Vernehmen nach war auch CDU-Chef Armin Laschet ahnungslos. Der NRW-Ministerpräsident ließ sich am Dienstagnachmittag in die Fraktionssitzung schalten. Dort herrschte regelrecht Aufruhr, insbesondere bei den Wirtschafts- und Finanzpolitikern. „Solide Staatsfinanzen sind für die Unionsfraktion nicht verhandelbar“, sagte Eckhardt Rehberg, Urgestein der CDU-Finanzpolitik. „Wenn sich Politik nicht selbst klar an Regeln bindet, gibt es kein Halten mehr“, ätzte derweil Mittelstandschef Carsten Linnemann.

Die Zeit für eine Grundsatzentscheidung drängt. Schon im März muss Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) die Eckwerte für die Finanzplanung bis 2025 vorlegen. Dazu braucht es auch Klarheit über das weitere Schicksal der Schuldenbremse. Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) zeigte sich ebenfalls skeptisch über die angepeilte Verfassungsänderung. „Für eine Grundgesetzänderung wären hohe Hürden zu nehmen“, sagte sie unserer Redaktion. „Sie setzt einen breiten parteiübergreifenden Konsens voraus, den ich aktuell nicht sehe.“

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