Bundesagentur Falsch gezählt: Aufregung um die Arbeitslosenstatistik

Berlin · Weil 115 000 Arbeitslose angeblich nicht erfasst wurden, sollen die Jobcenter künftig besser überprüfen. Die Linke spricht von „künstlicher Beschönigung“.

(dpa) Der Vorwurf: Hunderttausendfach sollen Arbeitslose nicht als solche gezählt worden sein. Die Reaktion: Die Bundesagentur für Arbeit (BA) zieht Konsequenzen. Nach der Kritik an angeblich fehlerhafter Zählung von Arbeitslosen sollen die Jobcenter die Angaben regelmäßig überprüfen und bei Bedarf korrigieren, sagte eine BA-Sprecherin jetzt. Dazu sei eine entsprechende Weisung in Kraft getreten.

Auf die angeblichen Erfassungsfehler bei Hartz-IV-Empfängern in großem Stil hatte der Bundesrechnungshof aufmerksam gemacht. In einem bisher unveröffentlichten Bericht stellten die Rechnungsprüfer Ende Februar fest, dass die Jobcenter zuletzt rund 290 000 Menschen mit einem falschen Status an die BA-Statistik gemeldet hätten – 8,6 Prozent der Leistungsempfänger. Demnach waren rund 115 000 Arbeitslose nicht als solche erfasst worden. Die Rechnungsprüfer zogen dabei bereits jene ab, die fälschlich und zu viel registriert waren. Der Rechnungshof stützte sich auf eine Stichprobe von 770 Fällen in 219 Jobcentern.

Nun sollen die Jobcenter regelmäßig automatisierte Prüfsysteme nutzen, erklärte die Sprecherin. Gefunden werden sollen Fälle, in denen der Status oder die Daten von Betroffenen im IT-System der BA unplausibel oder unstimmig erscheinen. Nach einem Bericht der „Bild“ im März hatte die BA bereits Verbesserungen angekündigt.

Gründe für die Fehler: Eine falsche Erfassung fußt laut den Rechnungsprüfern vor allem auf fehlenden Beratungsgesprächen, etwa nach dem Ende einer Eingliederungsmaßnahme. Dagegen versäumten es die Leistungsempfänger „nur in Einzelfällen“, Änderungen wie einen nahenden Job mitzuteilen. Den Status der Betroffenen erfassen die Jobcenter-Mitarbeiter mit Computerprogrammen. Die Rechnungsprüfer machten darauf aufmerksam, dass sie es hierbei mit rund 1040 Seiten voller Regeln zur Dokumentation zu tun hätten. Sie beachteten, beherrschten oder überblickten diese wohl nicht immer. Die BA versprach eine noch intensivere Kundenbetreuung.

Arbeitslosigkeit versus Unterbeschäftigung: Dass überhaupt so genau etwa zwischen arbeitslos und arbeitsuchend unterschieden wird, hängt mit den Grundlagen der Statistik zusammen. Längst nicht alle Menschen ohne Arbeit sind offiziell arbeitslos. „Die Bundesregierung rechnet sich die Zahlen schön“, kritisiert die Linke-Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann. Jeden Monat gebe die BA in der Arbeitsmarktstatistik unterschiedliche Zahlen an. So waren im März 2,301 Millionen Männer und Frauen ohne Job. Doch die Unterbeschäftigung liegt bei 3,254 Millionen – hier ist etwa auch mitgezählt, wer Aus- und Fortbildungen oder Förderkurse absolviert. Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) gibt auch eine „stille Reserve im engeren Sinn“ an – gemeint ist, wer nicht aktiv nach Arbeit sucht, einen Job aber bei noch besserer Arbeitsmarktlage aufnehmen würde. Für 2019 rechnet das IAB hier mit 290 000 Menschen.

Hintergründe der Statistik: Immer wieder veränderte der Gesetzgeber die Zählweise. Dass Teilnehmer an Maßnahmen nicht als arbeitslos gelten, geht zum Beispiel auf eine Änderung aus dem Jahr 2004 zurück. Seit 2008 gelten Hartz-IV-Bezieher ab 59 nicht mehr als arbeitslos, wenn ihnen ein Jahr lang keine Beschäftigung angeboten wurde. Die BA kritisierte dies damals: Dass Arbeitsplätze fehlten, werde zum Kriterium dafür, Menschen aus der Arbeitslosenstatistik auszuschließen. Das setze die BA dem „Risiko eines Vorwurfs der Manipulation von Arbeitslosenzahlen“ aus. Linkenpolitikerin Zimmermann fordert nun ein Zahlenwerk, das „das wahre Ausmaß des Problems korrekt abbildet und keine künstliche Beschönigung der Zahlen zulässt“.

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