Jo Leinen zur Endlager-Suche „Auch im Südwesten wird es potenziell geeignete Gebiete geben“

Saarbrücken · Der frühere Wortführer der Anti-Atomkraftbewegung begleitet die Suche nach einem möglichen Endlager. Sieht Jo Leinen auch mögliche Standorte im Saarland?

 Jo Leinen (SPD) war 20 Jahre Abgeordneter im EU-Parlament.

Jo Leinen (SPD) war 20 Jahre Abgeordneter im EU-Parlament.

Foto: dpa/Oliver Dietze

Jo Leinen (SPD) war von 1985 bis 1994 saarländischer Umweltminister und von 1999 bis 2019 Mitglied des EU-Parlaments. Bekannt wurde er in den späten 1970er Jahren als Wortführer der Anti-Atomkraftbewegung und als Sprecher des Bundes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU). Nun ist er eines von 17 Mitgliedern des Nationalen Begleitgremiums aus Vertretern gesellschaftlicher Gruppen, das Transparenz bei der Suche nach dem Atomendlager sicherstellen soll. Im Gespräch fordert er einen Prozess „ohne Mauscheleien“.

Fast 60 Jahre nach Beginn des Atomstrom-Zeitalters in Deutschland stehen wir bei der Entsorgungsfrage praktisch am Anfang. Was waren die Fehler bei der Endlagersuche in der Vergangenheit?

LEINEN Die niedersächsische Landesregierung hatte 1977 den Salzstock Gorleben für ein atomares Endlager benannt. Dieser Entscheidung ging keinerlei Beteiligung der Öffentlichkeit voraus und auch keiner wissenschaftlichen Untersuchung, ob dieser Standort geeignet ist. Es war ein rein politisches Kalkül, den atomaren Müll dicht an der Grenze zur damaligen DDR unterzubringen. Jetzt soll auch die Bürgerbeteiligung sicherstellen, dass potenzielle Standorte nach wissenschaftlichen und geologischen und nicht nach opportunistischen Erwägungen untersucht werden.

Aber CSU und Freie Wähler haben schon mal in den Koalitionsvertrag geschrieben, dass Bayern kein geeigneter Standort ist. Kann die Kommission überhaupt frei von politischem Druck arbeiten?

LEINEN Dieser Punkt im bayerischen Koalitionsvertrag ist ein Vertrauensbruch. Auch Bayern hat im Bundesrat zugestimmt, dass Deutschland für die Atommüllentsorgung einen neuen Anlauf macht und alle geeigneten Gebiete gleichberechtigt in den Auswahlprozess einbezogen werden. Der Querschuss aus München hat der Endlagersuche einen Bärendienst erwiesen. Er hat jedoch keinerlei rechtliche Bindung und ich bin sicher, dass in dem Bericht der Bundesgesellschaft für Endlagerung auch geeignete Landkreise aus Bayern benannt werden. Nach den schlechten Erfahrungen aus der Vergangenheit verbieten sich Mauscheleien und Hinterzimmertricks.

Ist Gorleben „politisch verbrannt“ und sollte aus der Suche ausgeklammert werden?

LEINEN Die Standortsuche soll bei null beginnen. Deutschland ist quasi eine weiße Karte mit allen Gebieten der Wirtsgesteine Salz, Ton und Granit, die für ein Endlager in Frage kommen. So gesehen ist auch der Standort Gorleben weiterhin im Rennen. Allerdings ist die Debatte um Gorleben wegen der Fehler in der Vergangenheit ziemlich vergiftet. Im Wendland, um Gorleben herum, wird deshalb sehr misstrauisch auf den weiteren Gang der Standortsuche geschaut.

Sind im Südwesten und speziell im Saarland geeignete Regionen für das Endlager zu lokalisieren – oder sind wir da quasi sicher?

LEINEN Sicher ist nichts. Auch im Südwesten wird es potenziell geeignete Gebiete geben. Im Saarland kann ich mir aber wenig vorstellen. Die Bergbaugebiete fallen schon mal weg. Salzstöcke und Granitberge haben wir nicht. Bleibt die Frage nach den Tonschichten im nördlichen Saarland. An diesem Montag werden wir mehr wissen.

Wenn wir sowieso ein Endlager bauen: Warum nicht auch noch ein paar Jahre CO2-frei Atomenergie produzieren?

LEINEN Nach dem Super-Gau im japanischen Fukushima gab es in Deutschland den parteiübergreifenden Konsens, aus der Atomenergie auszusteigen. 2022 gehen die letzten drei AKWs vom Netz. Es gibt in unserer Gesellschaft keine Bereitschaft, die Atomdebatte wieder neu aufleben zu lassen. Das würde auch die Suche nach einem Endlager über Gebühr belasten. Wir hatten eine Atomgeschichte von 60 Jahren. Jetzt muss das Land zusammenhalten, um den Müll auf lange Zeit und ohne Gefahren für Mensch und Natur unterzubringen.

Wie wichtig ist die Rückholbarkeit – wie groß die Chance, dass Atommüll künftig zum Rohstoff wird?

LEINEN Der hochradioaktive Atommüll wird in einem Bergwerk mindestens 500 Meter unter der Erde in Castor-Behältern eingeschlossen. Der Müll soll dort eine Million Jahre sicher lagern können, so steht es im Gesetz. In der Tat kann niemand voraussehen, ob es technische Verfahren oder Anwendungen geben wird, um ihn zu neutralisieren oder neu zu verwenden. Deshalb ist eine Rückholbarkeit der Castoren eine Bedingung für die Konstruktion des Bergwerks. Vielleicht erfinden die Menschen noch Dinge, von denen wir heute nichts wissen.

Wie fühlt es sich an, sich als ausgewiesener Gegner von AKWs nach Jahrzehnten um deren Müll kümmern zu müssen – und auch noch die Entscheidung zu begleiten, wer künftig in seiner Nähe leben muss?

LEINEN Ich war ziemlich von Anfang an mit dabei, die Atomkraft kritisch zu hinterfragen und für eine alternative Stromversorgung zu werben. Vor meinen Augen laufen die Auseinandersetzungen der letzten vierzig Jahre an den AKW-Standorten vorbei. Das ist Geschichte. Den letzten Rest des Atomzeitalters in Deutschland zu begleiten ist eine ehrenwerte Herausforderung. Dass Bundestag und Bundesrat mich in das Nationale Begleitgremium für die Suche nach dem Atommüllendlager gewählt haben, hat neben aller Ernsthaftigkeit auch eine gewisse Ironie für all die Engagements in meinem Leben.

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