Interview mit Jürgen Trittin „Nato ist in existenzieller Krise“

Berlin · Grünen Außenexperte Trittin sieht im Bündnis zahlreiche interne Konflikte.

 Jürgen Trittin

Jürgen Trittin

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Nach Einschätzung des außenpolitischen Experten der Grünen, Jürgen Trittin, kämpft die Nato zu ihrem 70. Jubiläum mit zahlreichen inneren Konflikten, für die auch beim jüngsten Gipfeltreffen in London keine Lösungen gefunden wurden. Unser Korrespondent Stefan Vetter fragte nach:

Herr Trittin, ist die Nato „hirntot“, wie Frankreichs Präsident Macron behauptet?

TRITTIN Über die Metapher lässt sich streiten. Aber die Nato ist in einer existenziellen Krise. Das ist unbestreitbar. Damit hat Macron zweifellos Recht.

Beim jüngsten Nato-Treffen haben die Europäer keine gemeinsame Sprache gefunden. Hätte Deutschland mehr dafür tun müssen?

TRITTIN Ich bin schon verwundert, mit welcher Inbrunst viele Europäer, auch die Deutschen, den französischen Präsidenten für seinen kritischen Befund über die Nato gescholten haben. Dieses Bashing stand in keinem Verhältnis zu der feigen Zögerlichkeit, die die gleichen Staaten an den Tag gelegt haben, als es darum ging, den völkerrechtwidrigen Krieg der Türkei in Syrien zu verurteilen. Dieser Krieg hatte ja unter anderem zur Folge, dass französische Truppen aus Syrien abgezogen werden mussten.

Das Mitgliedsland Türkei setzt aber bei seinem militärisches Vorgehen gegen die Kurden auf die Nato.

TRITTIN Die Nato darf sich nicht an dem Krieg gegen die Kurden in Nordsyrien beteiligen. Aber wenn letztlich das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR dorthin geschickt würde, um sogenannte freiwillige Rückkehrer anzusiedeln, dann ist das der Versuch, die geplanten ethnischen Säuberungen durch die Türkei im Gegenteil sogar noch zu internationalisieren.

Der neue Feind der Nato ist jetzt offenbar China. Wie deuten Sie das?

TRITTIN Die internationale Aufmerksamkeit für China liegt zum einen an den Veränderungen in China, das unter Xi im Innern autoritärer und nach außen offensiver geworden ist. Zum anderen liegt sie an der China-Obsession von Donald Trump. Der NATO-Schwenk auf China ist aber in doppelter Hinsicht problematisch.

Nämlich?

TRITTIN Zum einen kann sich die Nato mit China gar nicht auseinandersetzen, weil es sich hier vornehmlich um eine geoökonomische Herausforderung handelt. Da ist die Nato völlig blank. Und zweitens sind die Nato-Mitglieder auch in dieser Frage uneins. In London wurde nur ein Formelkompromiss gefunden. Immerhin haben sich die Europäer aber geweigert, die plumpe Wirtschaftskriegsrhetorik von US-Präsident Trump zu übernehmen, genauso wenig wie den plumpen Vorab-Ausschluss von Huawei beim Ausbau der Mobilfunknetze, was die Amerikaner ebenfalls gefordert hatten.

Immerhin hat Trump einen neuen Abrüstungsvertrag mit Russland angeregt. Ein Hoffnungszeichen?

TRITTIN Da können sich die europäischen Nato-Staaten nicht auf die USA verlassen. Trump hat doch zur Freude Putins den INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketen gekündigt. Die Folge ist, dass es keine Begrenzung bei diesen Waffensystemen mehr gibt. Auch hier besteht ein massiver Konflikt innerhalb des Bündnisses.

Deutschland stand in London erneut unter Feuer wegen seiner Rüstungsausgaben, weil sie deutlich unter der Zielmarke von zwei Prozent vom BIP liegen. Wie lässt sich dieser Konflikt lösen?

TRITTIN Da gibt es keine schnelle Lösung. Russland gibt dreimal weniger für Rüstung aus als die Europäer. Wo ist da aus europäischer Sicht die Rüstungslücke? Dass die USA die Europäer immer wieder auf die zwei Prozent festnageln wollen und damit auf eine enorme Aufrüstung , hat weniger mit verteidigungspolitischen Aspekten zu tun, sondern damit, Europa wirtschaftspolitisch in die Defensive zu drängen.

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