Interview „So werden wir auch die Energieziele krachend verfehlen“

Berlin · Grünen-Politiker Oliver Krischer spricht im Interview mit der Saarbrücker Zeitung über die aktuelle Flaute beim Ausbau der Windkraft in Deutschland.

 Oliver Krischer (die Grünen)

Oliver Krischer (die Grünen)

Foto: dpa/Tim Brakemeier

Der Ausbau von Windkraftanlagen ist im ersten Halbjahr regelrecht eingebrochen, die Branche alarmiert. Unser Berliner Korrespondent Werner Kolhoff fragte den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und Energieexperten der Grünen, Oliver Krischer, nach den Ursachen – und möglichen Gegenmaßnahmen.

Im ersten Halbjahr 2019 wurden nur 86 Windräder errichtet, davon lediglich 35 an neuen Standorten. Woran liegt es?

Oliver Krischer: Die Bundesregierung bremst den Windkraftausbau schon seit Jahren. Die ausgeschriebenen Zubau-Mengen waren viel zu gering. Dazu kommen bürokratische Hürden, die viele Standorte blockieren. Die Projekte brauchen heute Planungsvorläufe von mindestens fünf Jahren.

Gefährdet das die deutsche Windkraftindustrie?

Krischer: Ja, massiv. Die Politik der Bundesregierung hat in der Windbranche schon mehr Arbeitnehmern den Job gekostet, als in der Braunkohle überhaupt beschäftigt sind. Nach der Photovoltaik drohen wir jetzt die zweite große Säule der erneuerbaren Technologien an China zu verlieren.

Aber die Koalition hat gerade erst eine Sonderausschreibung von je 1.000 Megawatt Wind- und Solarenergie zusätzlich beschlossen.

Krischer: Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein und kann nicht ausgleichen, was in den letzten Jahren schon versäumt worden ist. Die Koalition will bis 2030 auf einen Anteil von 65 Prozent erneuerbarer Energien am Strommarkt kommen. Wenn sie so weiter macht, wird sie das genauso krachend verfehlen wie schon die Klimaschutzziele. Wenn die ersten alten Anlagen aus der EEG-Förderung fallen, droht ab den 2020er Jahren sogar ein Rückgang der Windstromerzeugung.

Könnten die Netze überhaupt viel mehr Windstrom transportieren? Da stockt der Ausbau doch auch.

Krischer: Beim Netzausbau geht es jetzt endlich besser voran. Meine neue Sorge ist eher, dass wir in ein paar Jahren zwar die Netze haben, dass dann aber die erneuerbaren Energien fehlen, die wir dort einspeisen wollten. Darauf läuft die aktuelle Entwicklung hinaus.

Gibt es auch bürokratische Hemmnisse beim Ausbau neuer Windkraftanlagen?

Krischer: Die schlimmste ist die so genannte 10-H-Regelung in Bayern. Dort müssen Windkraftanlagen den zehnfachen Abstand ihrer Höhe von der nächsten Bebauung haben. Dadurch gibt es in Bayern jetzt praktisch keine Standorte für neue Windräder mehr. Das kommt einem Bauverbot gleich. Ich habe die vielen Klima-Ideen von Ministerpräsident Söder gerne gehört. Wenn das alles nicht wieder nur Ankündigungen sein sollen, muss es in Bayern auch bei der Windkraft eine grundlegende Wende geben.

Auch viele Bürgerinitiativen verzögern oder blockieren Windkraftprojekte.

Krischer: Bürgerbewegt heißt ja nicht, dass alles, was gefordert wird, auch sinnvoll ist. Außerdem erlebe ich oft, dass es bei der Kritik an der Windkraft gar nicht um die Sache geht, etwa um Naturschutzbelange, sondern um parteipolitische Vorteile. Besonders die AfD versucht aus dem Thema Kapital zu schlagen. Sie streitet den Klimawandel schlichtweg ab und sagt den Leuten dann, wir bräuchten all die Windräder gar nicht. Da geben sich welche plötzlich als Schützer des Rotmilans aus, die das früher für einen serbischen Widerstandskämpfer gehalten haben.

Auch der BUND-Naturschutz protestiert gegen viele Projekte.

Krischer: Es ist völlig klar, dass Windräder Eingriffe in Landschaften darstellen. Und nicht jede Anlage ist überall sinnvoll. Da muss man in einen konstruktiven Dialog eintreten und Alternativen suchen und finden.

Es gibt zum Beispiel das Argument, dass Windräder viele Vögel töten. Sie als Hobby-Ornithologe müssten das kennen.

Krischer: Ja, natürlich kommt es vor, dass Vögel mit Windrädern kollidieren. Das kann man bei vernünftiger Planung jedoch minimieren. Wir haben beim Thema Artenschutz und auch Vogelschutz woanders viel größere Herausforderungen. Etwa die industrielle Landwirtschaft, die Verkehrswege, Glasscheiben oder Hochspannungsleitungen. Ich würde mir wünschen, dass sich Naturschutzverbände intensiver um diese Fragen kümmern.

Was muss kurzfristig passieren, um die Windkraft wieder flott zu machen?

Krischer: Nötig ist ein klares Bekenntnis der Bundesregierung, dass die Windenergie neben der Photovoltaik die zentrale Säule unserer zukünftigen Energieversorgung ist. Der Wirtschaftsminister ist aufgefordert, sich endlich um diese wichtige Frage zu kümmern. Wir haben hier kein Erkenntnisdefizit, wir haben hier ein Umsetzungsdefizit. Um die Ziele der Energiewende zu erreichen, müssten wir jährlich 5.000 Megawatt zubauen, also etwa 1.000 neue Windräder. Davon sind wir derzeit weit entfernt.

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