Interview Jürgen Trittin „Der Konflikt ist nicht militärisch zu lösen“

Berlin · Der Grünen-Außenexperte mahnt im schwelenden Russland-Ukraine-Konflikt mehr politischen Druck auf Moskau an.

 Jürgen Trittin, Außenexperte der Grünen.

Jürgen Trittin, Außenexperte der Grünen.

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Russland hat seine Truppenpräsenz an der Grenze zur Ukraine massiv verstärkt. Der Außenexperte der Grünen, Jürgen Trittin, geht davon aus, dass der eskalierende Konflikt nur politisch lösbar ist.

Herr Trittin, was bezweckt der Kreml mit dem Säbelrasseln?

TRITTIN Putin versucht, Druck auf die Ukraine zu machen, damit sich das Land auf Moskau zubewegt. Zumindest nicht weiter nach Westen. Obendrein testet Putin aus, wie es um die Solidarität der USA mit der Ukraine nach dem Regierungswechsel im Weißen Haus bestellt ist.

Bereits vor sieben Jahren hat Russland die Krim besetzt. Ist es da nicht nachvollziehbar, wenn die Ukraine jetzt von der Nato militärische Unterstützung fordert?

TRITTIN Die Nato, aber auch Deutschland, haben immer erklärt, dass der Ukraine-Konflikt nicht militärisch zu lösen ist, sondern nur politisch. Das gilt weiterhin. Dabei muss Europa gegenüber Russland allerdings klar machen, dass eine Verletzung der Vereinbarung von Minsk einen hohen Preis haben muss.

Was könnte das sein?

TRITTIN Russland muss sich entscheiden: entweder über stabile wirtschaftliche Beziehungen mit Europa zu verfügen oder sich komplett in die Abhängigkeit von China zu begeben. Russland kann jedenfalls kein Interesse daran haben, zum Satelliten Pekings zu werden.

US-Präsident Biden hat ein Gipfeltreffen mit Putin vorgeschlagen. Was könnte das bringen?

TRITTIN Es könnte die Atmosphäre entspannen. Gespräche zwischen Russland und der Ukraine kann es aber nicht ersetzen. Derzeit hat Russland ein Interesse daran, die Ukraine zu destabilisieren. Ich sehe aber auch, dass der ukrainische Präsident Selenskyi unter innenpolitischem Druck den Versuch einer politischen Lösung mehr und mehr aufgibt und die Menschen in den östlichen Gebieten des Landes etwa mit seiner Sprachenpolitik vor den Kopf stößt. Das liefert Russland einen willkommenen Vorwand für die Eskalation.

Hat es Sie überrascht, dass die USA bis Anfang September ihre Truppen aus Afghanistan abziehen?

TRITTIN Eine Lösung des Konflikts dort wird es nur mit einem verbindlichen Abzugsdatum der Amerikaner geben. Insofern war das vorhersehbar. Außenminister Maas und Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer wollten das jedoch nicht wahrhaben. Sie werden jetzt vor vollendete Tatsachen gestellt.

Das heißt aber auch, die Afghanistan-Mission ist gescheitert.

TRITTIN Sie ist in zwei entscheidenden Punkten gescheitert. Es ist nicht gelungen, tragfähige staatliche Strukturen aufzubauen. Und es nicht gelungen, dass das Land ohne die Taliban regiert wird. Die terroristische Bedrohung gegenüber dem Westen allerdings ist abgewendet. Denn die Taliban haben begriffen, dass sie ihre Herrschaft gefährden, wenn sie sich mit den USA und Europa anlegen.

Was bedeutet die Entwicklung für die dort stationierten deutschen Soldaten?

TRITTIN Die Bundesregierung muss den eigenen Abzug so schnell wie möglich einleiten. Wenn die Amerikaner im Mai mit ihrem Abzug beginnen, kann die Bundeswehr nicht bis September warten.

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