Interview mit Ex-Verteidigungsminister Jung zur Ukraine-Krise: "Der Schlüssel liegt in Moskau"

CDU-Chefaußenpolitiker Jung über die Lage in der Ukraine und die Konsequenzen für Deutschlands Sicherheitspolitik Franz Josef Jung (CDU) ist so etwas wie das Stehaufmännchen der Politik. Der Ex-Verteidigungs- und Arbeitsminister wurde jetzt als Nachfolger des verstorbenen Andreas Schockenhoff zum neuen Chef-Außenpolitiker der Union gewählt. Kurz vor Beginn der Münchener Sicherheitskonferenz sprach unser Berliner Korrespondent Werner Kolhoff mit dem 65jährigen über die Lage in der Ukraine.

Die Auseinandersetzungen im Donbass werden immer brutaler geführt, es sind Panzer und Raketen im Einsatz. Wäre die Bezeichnung Krieg nicht allmählich angebracht?
Franz Josef Jung:
Dass es dort eine kriegerische Auseinandersetzung gibt, kann man kaum bestreiten. Andererseits haben die Außenminister der Ukraine und Russlands gerade vor zehn Tagen hier in Berlin vereinbart, dass die Demarkationslinie eingehalten und ein Abzug der schweren Waffen eingeleitet wird. Alle Bemühungen müssen jetzt darauf gerichtet sein, diese Vereinbarung umzusetzen. Das wird auch bei der Münchener Sicherheitskonferenz ein Thema sein.

Wo liegt dafür der Schlüssel, in Moskau, in Donezk oder in Kiew?
Franz Josef Jung:
Zunächst einmal liegt er in Moskau. Der russische Außenminister hat ja zum ersten Mal zugestanden, dass seine Regierung Einfluss auf die Separatisten hat. Das müssen sie jetzt auch mal umsetzen. Wenn es erst einen Waffenstillstand gibt, können auch die anderen Themen des Minsker Abkommens ins Blickfeld genommen werden, von der humanitären Hilfe über die wirtschaftliche Entwicklung der Ostukraine bis zu den dezentralen Strukturen, über die Moskau reden will.

Könnte die Lockerung oder Zurücknahme von Sanktionen helfen?
Franz Josef Jung:
Die Bundeskanzlerin hat ja deutlich gemacht, dass für uns auch eine Freihandelszone mit Russland ein Thema sein könnte. Das war ein deutliches Signal. Aber die Lockerung der Sanktionen kommt erst in Betracht, wenn das Minsker Abkommen wirklich umgesetzt wird. Wenn die Großoffensive der Separatisten nicht endlich beendet wird, müssen wir eher über Verschärfungen nachdenken.

Würde es nützen, wenn Europa eine EU- und Nato-Perspektive der Ukraine ausschließt?
Franz Josef Jung:
Die Ukraine muss eine europäische Perspektive haben. Die Menschen sollen auf dem Maidan nicht umsonst für die Werte Europas gekämpft haben und gestorben sein. Wir gehen jetzt mit dem Assoziierungsabkommen eine enge Partnerschaft ein. Dass wir auch mit Moskau über die Annäherung der Ukraine an die EU sprechen, ist wegen der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und dem Osten der Ukraine in Ordnung. Was die Frage einer Nato-Mitgliedschaft angeht, so sind wir hier sehr zurückhaltend. Diese Frage stellt sich jetzt nicht, weil die Grundvoraussetzungen fehlen. Dazu müsste sich die Situation gravierend verändern.

Es gibt noch eine zivilgesellschaftliche Gesprächsebene, den Petersburger Dialog, dem sie jetzt angehören. Macht der noch Sinn?
Franz Josef Jung:
Ich halte es für richtig, ihn fortzusetzen. Allerdings sollten dort die politische Ebene, die politischen Stiftungen und noch stärker zivilgesellschaftliche Organisationen vertreten sein, denn der Petersburger Dialog ist eine zusätzliche Gesprächsebene. Wir müssen in Europa irgendwann wieder zu einer friedlichen Sicherheitsarchitektur kommen, wie wir sie vor diesem Konflikt hatten. Voraussetzung dafür ist, dass alle Staaten die Grenzen anerkennen und nicht einseitig verändern, wie das bei der Annexion der Krim durch Russland der Fall war.

Ändert die neue Lage im Osten die grundsätzliche Ausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik? Die Diskussion um ein neues Weißbuch der Bundeswehr beginnt gerade.
Franz Josef Jung:
Das alte Weißbuch war 2006 unter meiner Verantwortung als Verteidigungsminister auf den Weg gebracht worden. Damals war die Grundphilosophie ein vernetzter Ansatz aus ziviler Krisenprävention und militärischem Engagement, das immer nur das letzte Mittel sein sollte. Seitdem hat sich die Welt stark verändert, und dem müssen wir Rechnung tragen. Wir sind damals von einer Sicherheitspartnerschaft mit Russland ausgegangen, aus der sich Putin jetzt verabschiedet hat. Und wir haben neue Phänome wie ISIS und Formen der hybriden, also nicht-offenen Kriegsführung.

Bedeutet dies auch Änderungen für die Finanzierung der Bundeswehr?
Franz Josef Jung:
Ich war der letzte Verteidigungsminister, der den Wehretat noch erhöhen konnte. Wenn ich sehe, was jetzt alles an Aufgaben auf die Bundeswehr zugekommen ist, vom Irak bis Mali, und auch die Ausrüstungsprobleme, dann denke ich schon, dass der Verteidigungsetat wieder angehoben werden muss.

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