Irene Mihalic „Es werden zu viele Straftaten von rechts als Einzelfälle abgetan“

Berlin · Die Innenexpertin der Grünen hält im Mordfall Lübcke eine Verbindung zum NSU für möglich. Die Gefahr des rechten Terrors sei so groß wie nie.

 Grünen-Politikerin Irene Mihalic war Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss.

Grünen-Politikerin Irene Mihalic war Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss.

Foto: STEFAN_KAMINSKI

Die Innenexpertin der Grünen, Irene Mihalic, glaubt im Fall Lübcke nicht an die Einzeltat eines Rechtsextremisten. Eine Verbindung zum Terrornetzwerk NSU sei durchaus möglich, so Mihalic im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Abgeordnete war Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Aufklärung der Morde des rechten Terror-Trios.

Frau Mihalic, erleben wir im Fall Lübcke die Auferstehung des NSU?

MIHALIC Eine solche Verbindung lässt sich nur schwer von der Hand weisen. Combat 18, Kassel, Nordhessen und Dortmund, diese Zusammenhänge haben auch schon beim NSU eine Rolle gespielt. Auch ist nach wie vor unklar, wie genau das Unterstützer-Umfeld des NSU ausgesehen hat. Insofern darf man diese Möglichkeit nicht ausschließen.

Das heißt, Sie glauben nicht an die Einzeltat eines Rechtsextremisten?

MIHALIC Die Einzeltäter-These dürfen wir keinesfalls stark machen. Wenn der Tatverdächtige aus einem rechtsextremen Milieu kommt, dann reden wir natürlich über jemanden, der in entsprechende Netzwerkstrukturen eingebunden ist. Wir haben zuletzt mehrere Angriffe auf Politiker erlebt. Wenn jede Tat eine Einzeltat sein soll, versteht das doch kein Mensch.

Was bedeutet das im Fall Lübcke für die Arbeit der Ermittler?

MIHALIC Sie müssen herausfinden, ob auf das Konto des Verdächtigen noch weitere Straftaten gehen und ob er aus einem solchen Netzwerk heraus agiert hat. Es darf jetzt nicht derselbe Fehler wie beim NSU gemacht werden – damals hat man sich nur auf das Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe konzentriert und konsequent das Umfeld ausgeblendet. Deswegen möchten wir auch wissen, welche Erkenntnisse die Verfassungsschutzbehörden haben.

Ist die Gefahr des rechten Terrors in Deutschland jetzt größer geworden?

MIHALIC Diese Gefahr ist so groß wie nie. Wir nehmen eine zunehmende Brutalität und Gewaltbereitschaft wahr. Und man darf nicht vergessen: Mit der AfD gibt es eine Partei in den Landtagen und dem Bundestag, die zum Teil enge Personenbezüge bis weit in die rechte Szene hinein unterhält. Da kann man fast von einem parlamentarischen Arm des Rechtsextremismus in Deutschland sprechen. Das ist auch etwas, wodurch sich Militante berufen fühlen.

Müssen die Behörden insgesamt besser werden?

MIHALIC Es werden immer noch zu viele Straftaten von rechts als Einzelfälle abgetan. Man sieht zu wenig das große Ganze. Es gibt allerdings jetzt einen spürbaren Mentalitätswechsel beim Bundesamt für Verfassungsschutz durch den neuen Präsidenten. Das finde ich sehr gut. Aber es gibt zugleich noch die analytische Schwäche der Sicherheitsbehörden, verborgene Netzwerke zu erkennen. Die hinterlassen eben nicht nach jeder Tat ein Bekennerschreiben. Da müssen die Behörden einfach besser werden.

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