„In Syrien fehlen verlässliche Kräfte“

Nahost-Experte Müller verteidigt westliche Zurückhaltung in Kobane

Im Irak unterstützt der Westen die Kurden im Kampf gegen den "Islamischen Staat" nach Kräften. Im syrischen Kobane nicht. Warum? Das erklärt Daniel Müller von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung SZ-Korrespondent Stefan Vetter.Herr Müller, warum misst der Westen bei den Kurden mit zweierlei Maß? Müller: Bei den Interventionen im Irak und in Syrien gibt es zunächst völkerrechtliche Unterschiede. Die irakische Regierung hat die internationale Gemeinschaft um Unterstützung gebeten, die syrische Regierung nicht. Bis auf die USA sind andere Staaten deshalb in Syrien zurückhaltend, sich an Operationen zu beteiligen. Zudem fehlen in Syrien verlässliche Kräfte am Boden, die die Luftoffensiven unterstützen müssten; die Konfliktlage ist in Syrien ungleich unübersichtlicher. Auch deshalb fällt das internationale Engagement in beiden Ländern unterschiedlich aus.

Die syrischen Kurden haben die Weltgemeinschaft um Waffen gebeten, so wie einst auch die irakischen Kurden. Kann sich der Westen da wirklich verweigern? Müller: Es gibt einen fundamentalen Unterschied. Die kurdischen Milizen, die in Syrien kämpfen, stehen der auch in Deutschland als Terrororganisation eingestuften PKK nah; auch das steht einer stärkeren Unterstützung im Wege.

Wie bewerten Sie die Rolle Ankaras in dem Konflikt? Müller: Die Regierung in Ankara zögert, die Kurden direkt zu unterstützen und scheut eine Einmischung in den unübersichtlichen Konflikt im Nachbarland. Zudem hat sie Angst, dass der IS auch in der Türkei aktiv wird. Andererseits lässt sie kurdische Flüchtlinge ins Land und schützt die eigenen Grenzen. Das zeigt die schwierige Situation, in der sich die Türkei befindet.

Wie konnte der IS so stark werden? Müller: Durch viele erbeutete Waffen im Irak und in Syrien. Zugleich verfügt der IS über enorme Finanzmittel, die aus Ölverkäufen und Lösegeld-Erpressungen, aber auch aus dunklen Quellen einzelner Golfstaaten stammen. Dadurch können sie ihre Kämpfer exzellent bezahlen. In früherer Zeit fußte diese Unterstützung auch auf dem Gedanken, dass der IS in Opposition zum Assad-Regime steht. Vernachlässigt wurde, was man sich da für eine schlimme Kreatur heranzüchtet. Einige frühere Unterstützer lehnen den IS mittlerweile auch ab.

Muss der Westen am Ende mit dem syrischen Diktator Assad kooperieren, um den IS zu besiegen? Müller: Ich halte das politisch für unmöglich. Wie soll man mit jemandem zusammenarbeiten, der jüngst Chemiewaffen gegen sein eigenes Volk eingesetzt hat?

Aber mit Luftangriffen der Amerikaner sind die Islamisten nicht zu bezwingen. Was hilft dann? Müller: Im Irak gibt es zumindest Hoffnung, weil man dort, wie gesagt, Verbündete am Boden hat. Den Irak wird man allerdings nicht auf Dauer befrieden können, ohne die Präsenz des IS in Syrien anzugehen. Längerfristig braucht der Westen auch dort moderate Rebellen, die als Streitkräfte am Boden agieren und dann mit Luftschlägen unterstützt werden. Für Kobane kommt ein solches Szenario allerdings zu spät.

Was hätte eine Eroberung der Stadt durch den IS für Konsequenzen? Müller: Die humanitären Folgen wären möglicherweise fatal, schließlich ging der IS in der Vergangenheit mit äußerster Brutalität vor. Und die Türkei könnte ein innenpolitisches Problem bekommen, denn die Kurden dort sind schon jetzt wegen mangelnder Unterstützung seitens Ankaras aufgebracht.

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