Ostbeauftragter Marco Wanderwitz „Ich mache mit große Sorgen um die Demokratie im Osten.“

Interview | Berlin · Der Ostbeauftragte Marco Wanderwitz (CDU) spricht über die Brandmauer nach rechts außen, die Scheu innerhalb seiner eigenen Partei vor klaren Worten und die Bedeutung der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt für den Bundestagswahlkampf.

 Marco Wanderwitz ist Ost-­Beauftragter der Bundesregierung.  Foto: dpa

Marco Wanderwitz ist Ost-­Beauftragter der Bundesregierung. Foto: dpa

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz (CDU), sorgte mit seinen jüngsten Aussagen für Aussehen, wonach ein Teil der Menschen in Ostdeutschland in einer Form „diktatursozialisiert“ sei, so dass sie auch über 30 Jahre nach der Einheit nicht in der Demokratie angekommen seien. Im Interview verteidigt er seine Äußerungen, spricht über die Brandmauer nach rechts außen und die Scheu innerhalb seiner eigenen Partei vor klaren Worten zum Osten.

Herr Wanderwitz, hat Sie die große Aufregung über Ihre jüngsten Aussagen über das rechtsradikale Wählerpotenzial im Osten verwundert?

Wanderwitz Es hat mich insofern überrascht, als ich nichts Neues gesagt habe. Genau diese Diskussion führen wir mittlerweile zum dritten Mal seit ich Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer bin. Aufgeregt wird es besonders deswegen, weil die AfD mir eine pauschale Verunglimpfung Ostdeutscher vorwirft, was ich natürlich getan habe. Stattdessen habe ich mich mit den Menschen beschäftigt, die eine rechtsradikale Partei wählen. Auch die ein oder andere mediale Darstellung hat mich verwundert, weil klar wurde, dass nicht jeder meine Aussagen in Gänze angehört hat.

Muss vom Ostbeauftragten nicht auch ein Lösungsansatz folgen, wenn man eine derart kritische Analyse öffentlich äußert?

Wanderwitz Teil meiner Analyse ist ja, dass ein nicht unerheblicher Teil der AfD-Wähler leider dauerhaft für die Demokratie verloren ist. Insofern gibt es da keinen Lösungsansatz mehr, außer die Brandmauer möglichst hoch zu ziehen.

In Sachsen-Anhalt, wo am Sonntag gewählt wird, liegt die AfD zwischen 23 und 26 Prozent, kurzzeitig sogar vor der CDU. Vor diesem Hintergrund klingt Ihre Aussage nach einer politischen Kapitulation.

Wanderwitz Einen Teil dieser Wählerinnen und Wähler halte ich immer noch für gewinnbar. Das Ganze wird auch dadurch relativiert, dass die Wahlbeteiligung im Osten traditionell geringer ist als im Westen. Die AfD-Anhänger machen nicht 23 Prozent der Bevölkerung aus, sondern 23 Prozent der Wählerschaft. Ein Teil dieser Menschen ist zutiefst überzeugt davon, dass es kein Problem ist, eine rechtsradikale Partei zu wählen. Sie haben teilweise früher NPD oder DVU gewählt, teilweise 20 Jahre lang überhaupt nicht mehr gewählt und mit der Faust in der Tasche gesagt: ,Dieser Staat ist nicht meiner‘. Wir haben mehr als 30 Jahre lang viel versucht, auch diese Menschen stetig einzubinden. Auch, weil es wirklich noch viele große Probleme im Osten gab. Mittlerweile geht es unserem Land insgesamt ziemlich gut, auch den neuen Bundesländern. Wer es mit Demokratie, Rechtsstaat und Grundgesetz ernst meint, kann keine rechtsradikale Partei wählen.

Blenden Sie nicht damit aus, dass die AfD auch im Westen Anhänger findet?

Wanderwitz Sie findet auch im Westen Anhänger, aber der Resonanzboden ist eben im Osten wesentlich größer. Ich bin fest davon überzeugt, dass die AfD im Westen mittelfristig unter fünf Prozent fallen wird. Im Osten ist das völlig ausgeschlossen. Ich beschreibe einen vorhandenen und verfestigten Zustand.

Wenn Sie nur Fakten beschreiben, warum finden dann so wenige Politiker in der CDU so klare Worte zum Osten?

Wanderwitz Naja, Sie sehen ja, wie unbeliebt man sich damit auch macht.

Also gibt es in Ihrer Partei kein großes Interesse daran, diese Tatsachen anzusprechen?

Wanderwitz Man muss erst einmal eine Hürde nehmen. Meine Motivation ist, dass ich mir große Sorgen um die Demokratie in den neuen Bundesländern mache. Deswegen will ich den Wählerinnen und Wähler der AfD, von denen ich nicht alle für rechtsradikal halte, deutlich den Spiegel vorhalten und aufzeigen, was sie mit ihrer Wahlentscheidung eigentlich treiben. Es ist Teil meiner Lösung, einen Teil dieser Menschen aufzuwecken.

In der CDU sind offenbar nicht viele bereit, diese Hürde zu nehmen.

Wanderwitz Offensichtlich sind nicht alle der Meinung, dass man das in der gleichen Klarheit wie ich tun sollte. Ich bin davon überzeugt, dass es für uns als Union lebensnotwendig ist, auf der einen Seite eine sehr klare Grenze nach rechtsradikal zu ziehen, und auf der anderen Seite Menschen bis weit in die Mitte hinein anzusprechen. Das eine hängt mit dem anderen unmittelbar zusammen, im Osten genauso wie im Westen. Und zur Einordnung: In Nordrhein-Westfalen leben 2,5 Millionen Menschen mehr als in allen neuen Bundesländern inklusive Berlin zusammen.

Wie verstehen Sie Ihre Rolle als Ostbeauftragter?

Wanderwitz Ich sehe mich als Anwalt der Interessen der neuen Bundesländer innerhalb der Bundesregierung. Diese Interessen vertrete ich bei allen politischen Themen, ob es um die Gleichheit der Lebensverhältnisse, die weitere Angleichung der Renten oder SED-Unrechtsbereinigung geht. Was ich nicht bin, ist ein reiner Kummerkasten. Und ich bin auch keine „Sprachbox“, die man mit allen Ansichten der Menschen in Ostdeutschland befüllt und die diese dann neutral wiedergibt. Ich ordne die Dinge schon persönlich ein. Übrigens sind die Problemlagen des Ostens im Verhältnis zu den gesamtdeutschen inzwischen zurückgetreten. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse betrifft ländliche Räume insgesamt.

Was klare Aussagen angeht, sehen manche bei Ihrem Parteivorsitzenden Armin Laschet Luft nach oben. Ist das der Grund, warum er in Teilen Ostdeutschlands nicht besonders beliebt ist?

Wanderwitz Für Armin Laschet geht es derzeit noch immer auch darum, weitere Bekanntheit im tieferen Sinne zu gewinnen. Aber es stimmt, dass er es als staatsmännischer, moderierender Ministerpräsident im Osten ein bisschen schwerer hat, weil dort eher ein führenderer Typ gefragt ist. Das mag man als ein Manko sehen, ich persönlich bevorzuge den moderierenden Teamspieler. Armin Laschet macht es genau richtig, wenn er sich als Aachener weit aus dem Westen mit manch einem Urteil über den Osten zurückhält und das Reiner Haselhoff, Michael Kretschmer oder mir überlässt.

War Herr Laschet in Sachsen-Anhalt eine Unterstützung im Wahlkampf?

Wanderwitz Ich selbst komme aus Sachsen und kann da kein Urteil abgeben. Aber Reiner Haselhoff hat alles andere getan, als Armin Laschet zu verstecken, auch wenn er sich im Wettbewerb um die Kanzlerkandidatur zuvor für Markus Söder ausgesprochen hatte. Im Gegenteil, das klare Signal war, gemeinsam mit Armin Laschet diese Landtagswahl gewinnen zu wollen – und danach die Bundestagswahl. Dass es am Ende der langen Ära Angela Merkels personelle Konflikte gibt, ist doch ganz normal. Und ganz ehrlich, wir hatten es hier nicht mit „Rudis Resterampe“ zu tun, sondern mit den erfolgreichen Ministerpräsidenten der beiden größten Bundesländer.

Fast ein Drittel der Wähler in Sachsen-Anhalt könnte sich laut Umfrage eine Zusammenarbeit von CDU und AfD vorstellen. Ist es denkbar, dass Reiner Haseloff nach der Wahl einknickt?

Wanderwitz Das halte ich für völlig ausgeschlossen. Reiner Haseloff ist die personifizierte Garantie, dass nichts dieser Art stattfinden wird.

Die Regierungsbildung in Sachsen-Anhalt könnte dennoch kompliziert werden…

Wanderwitz Nein, das glaube ich nicht. Ich gehe sogar davon aus, dass es wieder einfacher wird, weil die FDP aller Voraussicht nach wieder in den Landtag kommen wird. Nach heutigem Stand gehe ich davon aus, dass mindestens zwei Koalitionen mit unzweifelhaft demokratischen Parteien möglich sein werden.

Eine „Kenia“-Regierung (CDU, SPD, Grüne) oder ein „Deutschland“-Bündnis (CDU, SPD, FDP). Ihr Favorit?

Wanderwitz Auch hier halte ich mich als Sachse mit Ratschlägen zurück. Meinem Eindruck nach hat die „Kenia“-Koalition in Sachsen-Anhalt eher etwas schlechter funktioniert als unsere sächsische Regierung. Die Entscheidung darüber wird in Sachsen-Anhalt getroffen. Was allerdings nicht in Sachsen-Anhalt entschieden wird, ist die Frage, wie man mit der AfD (und der Linkspartei) umgeht. Hier gibt es einen Parteitagsbeschluss der CDU und das ist ein Unvereinbarkeitsbeschluss.

Wie wichtig ist das Signal dieser Landtagswahl für den Bundtagswahlkampf?

Wanderwitz Landtagswahlen in den neuen Ländern sind immer schwieriger als in den alten. Im Osten spielt die Linkspartei genauso wie die AfD eine größere Rolle. Insofern ist das eine Wahl in einem kleineren ostdeutschen Bundesland im Bundestagswahljahr. Nicht mehr und nicht weniger.

Abgrenzung gegen die AfD im Osten, gegen die Grünen im Westen – bisher macht die CDU vor allem über Abgrenzung Wahlkampf. Müsste man nicht endlich sagen, wofür man steht, nicht nur wogegen?

Wanderwitz Das eine hat mit dem anderen unmittelbar zu tun. Armin Laschet sagt richtigerweise, dass wir im Westen vorrangig im Wettbewerb mit den Grünen stehen und im Osten im Kampf mit der AfD.

Es ging um die Frage, wofür die CDU steht.

Wanderwitz In den alten Ländern wird Klima ein sehr entscheidendes Wahlthema sein. Uns geht es um die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie, um Technologieoffenheit und Zukunftschancen.

Kann sich die Union beim Klima-Thema gegen die Grünen behaupten?

Wanderwitz Man kann trefflich darüber streiten, wer die Markenrechte auf das Original hat. Ich erinnere nur daran, dass die CSU in Bayern den ersten Landesumweltminister stellte und der erste Bundesumweltminister der CDU-Politiker Klaus Töpfer war. Bei uns heißt es Bewahrung der Schöpfung. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich gerade auch bei diesem Thema entscheiden wird, ob die Union Volkspartei bleiben kann. Wenn wir dieses Generationenthema nicht glaubwürdig besetzen können, würde es für uns in den nächsten Jahren sehr schwierig werden.

Konnte die CDU beim Klimaschutz in diesem Wahlkampf bisher punkten?

Wanderwitz Jedenfalls nicht in dem Maße, wie ich es mir wünschen würde. Deswegen müssen wir uns hier noch deutlicher als die bessere Alternative zu den Grünen positionieren. Deswegen müssen wir Klima- und Umweltthemen glaubwürdig vertreten, übrigens gerade auch im Osten. Nur ein Beispiel: Das VW-Werk in Zwickau war lange Zeit verlängerte Werkbank. Mittlerweile sind wir das Leitwerk für die Elektromobilität im Volkswagenkonzern geworden. Nach 75 Jahren werden in Zwickau wieder Audis produziert.

Müsste man im Sinne des glaubwürdigen Klimaschutzes nicht sagen: weniger Autos sind besser als mehr?

Wanderwitz Grundsätzlich ja, allerdings geht es auch darum, die Lebenswirklichkeit der Menschen ernst zu nehmen. Der öffentliche Nahverkehr und Car-Sharing-Modelle haben insbesondere im ländlichen Raum mittelfristig betrachtet einfach Grenzen. Deswegen setzen wir auch darauf, keine neuen Autobahnen und Bundesstraßen mehr zusätzlich zu bauen, sondern die Schiene und den ÖPNV zu stärken. Nur wo es unvermeidlich ist, müssen eben neue Autospuren auch angebaut werden.

Hans-Georg Maaßen tritt als Bundestagskandidat an, Max Otte als neuer Chef der „Werteunion“ - wie einflussreich sind rechte Kreise in Ihrer Partei?

Wanderwitz Die Werteunion hat sich durch die Wahl des neuen Vorsitzenden endgültig ins Aus geschossen. Dass selbst Herr Maaßen seine Mitgliedschaft ruhen lässt, ist fast ein Paukenschlag. Ich freue mich über das klare Statement von Armin Laschet, dass er als CDU-Bundesvorsitzender mit Herrn Otte nichts zu besprechen hat.

Die frühere CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hatte 2019 indirekt einen Parteiausschluss Maaßens ins Spiel gebracht. Nun tritt Maaßen als Bundestagskandidat an - ein Problem?

Wanderwitz Zu Herrn Maaßens Kandidatur habe ich mich klar geäußert. Ich akzeptiere selbstverständlich das demokratische Nominierungsergebnis. Ich persönlich glaube aber, dass es in den restlichen 298 Wahlkreisen leichter wäre, Wahlkampf zu machen, wenn Herr Maaßen nicht antreten würde. In Südthüringen haben die Mitglieder entschieden, dass ein Westimport aus Mönchengladbach ihr Wunschkandidat ist – und damit leider übrigens auch ein Stück weit ad absurdum geführt, dass wir dringend mehr Repräsentanz von Ostdeutschen in Führungspositionen aller Art brauchen.

Hätten Sie sich von Armin Laschet hier eine klarere Position gewünscht?

Wanderwitz Ein Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat kann nicht ernsthaft den Anspruch haben, 299 Wahlkreisnominierungen zu kommentieren. Armin Laschet hat sich klug verhalten.

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