Hartz IV trotz Arbeit

Berlin · Beschäftigte im Dienstleistungssektor besonders häufig auf Staatshilfe angewiesen.

Berlin. Der Beschäftigungsboom in Deutschland geht zum großen Teil auf den Aufschwung im Dienstleistungsbereich zurück. Mit der Bezahlung in dieser Branche sieht es allerdings weniger rosig aus. Allein in den Reinigungs- und Verkaufsberufen verdienen insgesamt 356.000 Arbeitnehmer so wenig, dass sie ihren Lohn mit Hartz IV aufstocken müssen. Das geht aus der Stellungnahme der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor, die unserer Zeitung vorliegt.

Allein etwa jeder zehnte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Reinigungsgewerbe ist demnach auf ergänzende Hilfe vom Staat angewiesen, um sein Existenzminimum zu sichern. Zu den zehn Berufsgruppen mit den meisten "Aufstockern" gehören ferner Hilfsarbeiter, Bürokräfte, Köche, Verkehrsmitarbeiter, Lager- und Transportarbeiter, sowie Gesundheitsdienstleiter, Gästebetreuer, Sozialarbeiter und Erzieher. In diesen zehn Branchen arbeiteten Mitte 2011 rund 914.000 Beschäftigte mit zusätzlichem Hartz-IV-Bezug. Das waren rund 70 Prozent aller "Aufstocker".
In ihrer Stellungnahme weist die Bundesregierung darauf hin, dass eine ergänzende Grundsicherung bei Vollzeitbeschäftigung "nicht zwangsläufig" einen Niedriglohn bedeuten muss. Ursache könne vielmehr die gesamte Bedarfsgemeinschaft sein. Im Klartext: Als Alleinstehender hätte der Betroffene einen ausreichenden Verdienst und damit keinen zusätzlichen Anspruch auf das Arbeitslosengeld II, als Verheirateter mit Kind(ern) aber schon. Allerdings räumt die Regierung auch ein, dass in Dienstleistungsjobs übermäßig häufig schlecht verdient wird. Gemessen an der von der OECD festgelegten Niedriglohnschwelle von monatlich 1802 Euro brutto liegt der Verdienst von mehr als der Hälfte der Reinigungskräfte in Vollzeit unterhalb dieser Marke. In den Verkaufsberufen verdient jeder dritte weniger als 1802 Euro. Im Gastgewerbe liegen gar über zwei Drittel der Vollzeitbeschäftigten mit ihren Bezügen darunter.
"Der Dienstleistungssektor boomt und mit ihm die Niedriglöhne. Nur ein einheitlicher, gesetzlicher Mindestlohn kann dem Einhalt gebieten", meinte die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linken, Sabine Zimmermann, gegenüber unserer Zeitung. Es sei nicht hinnehmbar, dass die gesellschaftlich wichtige Arbeit von Putzfrauen, Verkäuferinnen oder Pflegern so gering geschätzt und bezahlt werde.

Nach einer früheren Untersuchung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) musste der Bund allein im Vorjahr rund zwei Milliarden Euro ausgeben, um Geringverdienern in Vollzeit das Existenzminimum zu sichern.

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