Beschluss im Bundesrat Hartz-IV-Sanktionen werden für ein Jahr ausgesetzt – Kritik von der Bundesagentur für Arbeit

Hartz-IV-Empfänger müssen bei Verstößen, etwa gegen Meldeauflagen, im nächsten Jahr weniger Sanktionen fürchten. Kritik an der neuen Praxis kam postwendend – auch von der Bundesagentur für Arbeit.

 Personen gehen vor dem Schild einer Arbeitsagentur zum Eingang (Symbolbild)

Personen gehen vor dem Schild einer Arbeitsagentur zum Eingang (Symbolbild)

Foto: dpa/Patrick Seeger

Arbeitssuchende müssen bis Mitte kommenden Jahres weniger Hartz-IV-Sanktionen fürchten. Der Bundesrat ließ am Freitag eine bereits im Bundestag beschlossene Aussetzung der Sanktionsregelungen für Pflichtverstöße passieren. Ein Grund für das Moratorium ist das für 2023 geplante Bürgergeld anstelle des heutigen Hartz-IV-Systems, das auch mit einer Neuregelung bei den Sanktionen verbunden sein soll. Zudem muss der Gesetzgeber eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2019 umsetzen.

Ausgesetzt wird für ein Jahr die Möglichkeit, das Arbeitslosengeld II bei einer Pflichtverletzung um 30 Prozent zu mindern. Das gilt etwa, wenn eine zumutbare Arbeit nicht angenommen wird. Bei wiederholten Meldeversäumnisse oder Terminverletzungen drohen allerdings auch künftig Leistungskürzungen von bis zu 10 Prozent des Regelsatzes. Das Gesetz soll zum 1. Juli 2022 in Kraft treten.

Der scheidende Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, hat in einem Interview die Änderung der Sanktionspraxis für Hartz-IV-Empfänger kritisiert. „Es wäre besser gewesen, wenn die Regierung das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November 2019 in Gesetzesform gegossen hätte“, sagte der BA-Chef dem „Handelsblatt“ (Freitag).

Die Karlsruher Richter hatten 2019 entschieden, dass die Leistungen von Hartz-IV-Empfängern bei Verstößen gegen die Auflagen um bis zu 30 Prozent gekürzt werden können. Nun sind für ein Jahr Kürzungen nur noch um zehn Prozent erlaubt – und dies auch erst nach dem zweiten Verstoß, etwa gegen Meldeauflagen. Der Bundesrat ließ die entsprechende Aussetzung der Regelungen, die der Bundestag bereits beschlossen hatte, am Freitag passieren.

Wenn im nächsten Jahr das neue Bürgergeld komme, sollen dann wieder Kürzungen um 30 Prozent möglich sein. „Das ist nur schwer verständlich“, sagte Scheele. „Ich möchte kein Jobcenter-Berater sein, der das erklären muss.“ 97 Prozent der Leistungsbezieher kämen mit Sanktionen überhaupt nicht Berührung, weil alle Auflagen befolgt würden. Dass nun wieder vor allem über Sanktionen diskutiert werde, bezeichnete Scheele als schade.

Bei der Bemessung des neuen Bürgergeldes mahnte Scheele zur Vorsicht. Einfach einen Aufschlag auf die bisherigen Hartz-IV-Sätze zu gewähren hält er nicht für zielführend. „Denn selbst wenn die Regelsätze höher wären, wäre es, wo immer es möglich ist, besser, arbeiten zu gehen und Tariflohn zu verdienen“, sagte er. „Die Chancen waren jedenfalls selten so gut wie jetzt“, betonte Scheele mit Blick auf den leergefegten Arbeitsmarkt.

Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) kritisierte die Entscheidung die Entscheidung auf Veranlassung der Bundesregierung ebenfalls. „Mit dem Sanktionsmoratorium wirft sie erneut einen Grundsatz unseres Sozialstaatsprinzips über Bord – den Grundsatz des Forderns“, erklärte Scharf. An Leistungsbezieher, die ihre Mitwirkung verweigerten, werde ein völlig falsches Signal gesendet: Egal, was du machst, die Jobcenter zahlen so oder so. „Das Sanktionsmoratorium ist daher nicht nur ein Rückzug des Staates. Es ist ein Schlag ins Gesicht aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern, die Tag für Tag versuchen, Leistungsbezieher wieder in Arbeit zu bringen“, kritisierte Scharf.

Kritik kam auch aus Baden-Württemberg: Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) betonte: „Für einige wenige, die beharrlich eine Zusammenarbeit verweigern, braucht es weiterhin Sanktionen.“ Wenn Mitwirkungspflichten nachhaltig verletzt würden, laufe das System gerade bei denjenigen leer, die am meisten Hilfe bräuchten. „Ein Moratorium hilft uns hier nicht weiter, es braucht eine schnelle gesetzliche Neuregelung und ein klares Bekenntnis der Bundesregierung zum Grundsatz des Förderns und Forderns“, sagte Hoffmeister-Kraut.

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