Experte warnt trotz Häufung von Fehlbildungen bei Babys vor Panik „Es gibt keinen Grund, besorgt zu sein“

Berlin · Der Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte warnt trotz der Häufung von Hand-Fehlbildungen bei Babys vor voreiligen Schlüssen.

 Der Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte (BVF), Christian Albring

Der Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte (BVF), Christian Albring

Foto: www.Schoelzel.net/Andreas Schoelzel

Nach einer Häufung von Fehlbildungen bei Babys in einer Gelsenkirchener Klinik machen sich viele werdende Eltern Sorgen über ihren noch ungeborenen Nachwuchs. Der Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte (BVF), Christian Albring, nennt mögliche Ursachen und Gegenmaßnahmen.

Herr Albring, drei Babys mit deformierten Händen innerhalb von zwölf Wochen in einer Klinik – ist das Zufall, oder steckt mehr dahinter?

ALBRING Das wissen wir nicht. Fehlbildungen der Hände oder Füße sind sehr selten, sie treten mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 1:10 000 auf. Dass innerhalb weniger Wochen drei solcher Fälle auftreten, scheint zunächst zwar ungewöhnlich. Aber es gibt in Deutschland kein Fehlbildungs-Register, und deshalb erlauben diese Meldungen zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt keine Einschätzung und Aussage.

Viele fühlen sich an den Contergan-Skandal in den 1960er Jahren erinnert, als es wegen eines Medikaments zu häufigen Fehlbildungen bei Neugeborenen kam.

ALBRING Es wäre nicht seriös, hier zum jetzigen Zeitpunkt Vermutungen anzustellen. Aber es könnte eine Korrelation zu einem hohen Gewicht der Mutter geben. Wir müssen abwarten, bis die von den Gesundheitsministerien der Länder geplanten Abfragen abgeschlossen sind.

In Deutschland gibt es keine zentrale Stelle, bei der Fehlbildungen von Babys registriert werden. Es könnte also noch viel mehr Betroffene geben.

ALBRING Ein bundesweites Register könnte nur funktionieren, wenn es eine Meldepflicht von Fehlbildungen gäbe. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte hat ein solches Register gefordert. Inwieweit eine Meldepflicht für angeborene Veränderungen bei Neugeborenen sinnvoll und hilfreich wäre, oder ob eine solche Meldepflicht eventuell auch gegen die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verstoßen würde, muss intensiv diskutiert werden.

Wie sollten besorgte angehende Eltern jetzt reagieren?

ALBRING Es gibt keinen Grund, besorgt zu sein. Die häufigsten Fehlbildungen sind solche des Herzens. Sie werden oft schon während der Schwangerschaft im Ultraschall entdeckt und können in aller Regel sehr gut behandelt werden. Fehlbildungen der Hände oder Füße sind viel seltener. Sie könnten bei guter Sicht und schlanken Patienten eventuell bereits während der Schwangerschaft im Ultraschall festgestellt werden. Aber diese Diagnostik ist in den gesetzlich vorgesehenen drei Ultraschalluntersuchungen nicht eingeschlossen, da diese Fehlbildungen auch nicht lebensbedrohlich sind.

Können die Fehlbildungen behandelt werden?

ALBRING Solche Fehlbildungen können heute medizinisch hervorragend versorgt werden. Eltern, bei deren Babys sie schon während der Schwangerschaft oder nach der Geburt festgestellt werden, werden intensiv medizinisch und psychologisch betreut und gegebenenfalls mit Selbsthilfegruppen in Kontakt gebracht. In jedem Jahr kommen über 10 000 Babys mit erheblichen, angeborenen und bleibenden Schädigungen auf die Welt, weil ihre Mütter während der Schwangerschaft Alkohol getrunken haben. Tausende Babys werden zu früh und mit Entwicklungsstörungen geboren, weil ihre Mütter in der Schwangerschaft geraucht haben. Diese Zahlen und diese vermeidbaren Schicksale machen uns sehr viel mehr Sorgen.

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