Günther Verheugen „Die Wahl wird alles andere als ein Selbstläufer“

Berlin · Der ehemalige EU-Kommissar kritisiert die Nominierung Ursula von der Leyens als Kommissionspräsidentin und sieht darin eine Wählertäuschung.

 Der SPD-Politiker Günter Verheugen war von 2004 bis 2010 Vizepräsident der EU-Kommission.

Der SPD-Politiker Günter Verheugen war von 2004 bis 2010 Vizepräsident der EU-Kommission.

Foto: picture alliance/dpa Picture-Alliance / Karlheinz Schindler

Günter Verheugen (SPD) war von 1999 bis 2010 EU-Kommissar, ab 2004 auch Vizepräsident der Kommission. Er kennt die Europäischen Institutionen wie kaum ein anderer. Die Personalie Ursula von der Leyen sei „Wählertäuschung ersten Ranges“, so Verheugen im Gespräch mit unserer Redaktion.

Herr Verheugen, ist Ursula von der Leyen die Richtige für das Amt der Kommissionspräsidentin?

VERHEUGEN Ganz unabhängig von der Qualifikation muss man einfach sagen, diese Entscheidung wirft die allergrößten Zweifel auf im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit europäischer und deutscher Politik.

Inwiefern?

VERHEUGEN Man kann ja Bedenken gegen das Spitzelkandidatenmodell haben, und ich habe sie. Wenn man es aber macht, dann muss man dazu stehen. Die Union und die Kanzlerin haben in den Mittelpunkt des Europawahlkampfes gestellt, Manfred Weber solle Kommissionspräsident werden. Dies dann einfach fallen zu lassen, ist eine Wählertäuschung ersten Ranges.

Frau Merkel sagt, nach über 50 Jahren soll endlich eine Frau und eine Deutsche das Amt bekommen. Das ist doch ein Erfolg.

VERHEUGEN Das Argument „Frau“ wird es dem Europäischen Parlament schwerer machen, Nein zu sagen, denn es ist tatsächlich höchste Zeit, eine Frau an die Spitze der EU-Kommission zu bringen. Die Nationalität überhaupt ins Spiel zu bringen, macht die Sache nicht leichter. Eine Kommissionspräsidentin hat ausschließlich dem europäischen Gemeinwohl zu dienen und niemals den Interessen ihres Herkunftslandes. Insgesamt repräsentieren die Vorschläge nur den alten Teil der EU und sie sind überhaupt kein Signal für mehr Demokratie und Bürgernähe in der EU.

Was muss man mitbringen für so einen Job?

VERHEUGEN Große internationale Erfahrung und sehr viel Einfühlungsvermögen. Denn die noch 28 Mitglieder der EU haben alle ihre nationalen Eigenheiten. Die muss man kennen und berücksichtigen. Und man muss in der Lage sein, den wahrscheinlich anspruchsvollsten Apparat, den es auf der Welt gibt, zu leiten: die EU-Kommission.

Internationale Erfahrung hat von der Leyen. Einen schwierigen Apparat zu leiten, ist ihr zuletzt schwergefallen. Stichwort Bundeswehr.

VERHEUGEN Letzteres wird bei der Entscheidung des EU-Parlamentes sicher eine Rolle spielen. Gegen Manfred Weber wurde argumentiert, dass er keine Regierungserfahrung habe. Schon in ihrem jetzigen Amt steht von der Leyen unter massiven Druck. Deshalb wird ihre Wahl alles andere als ein Selbstläufer.

Haben Sie den Eindruck, dass die Ministerin nach Europa abgeschoben werden soll?

VERHEUGEN Eindeutig war Frau von der Leyen nicht die erste Wahl der EVP. Das war Manfred Weber. Sie selber allerdings kann eine erfolgreiche Nominierung als die Krönung ihrer Karriere ansehen.

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