Die Grünen stimmen für den Einstieg in Koalitionsverhandlungen mit SPD und FDP Grüße aus der Hoffnungszeit

Bereit für die Ampel: Die Grünen stimmen bei einem Kleinen Parteitag für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen und ahnen, dass vor allem beim Geld der rot-gelb-grüne Honeymoon enden könnte

Können jetzt in konkrete Koalitionsverhandlungen einsteigen: Die Grünen-Co-Vorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock

Können jetzt in konkrete Koalitionsverhandlungen einsteigen: Die Grünen-Co-Vorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock

Foto: dpa/Michael Kappeler

Von Holger Möhle

Widerspruch: Fehlanzeige. Widerspruch: wäre ohnehin zwecklos. Die Grünen wollen regieren. Die Partei, die sonst gerne bis zur Erschöpfung diskutiert, gibt sich auch an diesem Sonntag handzahm. Ganze vier Zeilen hat der Bundesvorstand diesem Kleinen Parteitag als Leitantrag vorgelegt. Und wie schon beim letzten Länderrat vor zwei Wochen stört sich niemand daran: kein Änderungsantrag. Die Grünen lieben in diesen Tagen und Wochen grünes Licht mehr noch als sonst. Sie wollen die Ampel, die sie in eine nächste Bundesregierung führen soll, auf Grün schalten. Auftrag: Regieren. Und dafür soll dieser Kleine Parteitag den Bundesvorstand beauftragen, in konkrete Koalitionsverhandlungen einzusteigen.

Es ist jetzt bereits der dritte Grünen-Länderrat binnen fünf Wochen. Die rheinland-pfälzische Umweltministerin Anne Spiegel wird später sagen, viele wünschten sich, „die Familie auch mal wieder bei Tageslicht zu sehen“. Aber es gehe jetzt um große Ziele. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner betont: „Wir haben heute eine wegweisende Entscheidung zu treffen.“ Kellner gibt denn auch gleich den Betriebselektriker seiner Partei. Sein Appell an die knapp 100 Delegierten dieses Länderrates ist eindeutig: „Lasst uns die Lampen der Ampel richtig verdrahten, damit sie vier Jahre auf Aufbruch leuchtet.“ Er dankt den „Notetakern“, jenen Mitarbeitern der Grünen-Geschäftsstelle, die bei den Sondierungen akribisch mitgeschrieben haben und schließlich „Gemeinsamkeiten und Unterschiede destilliert“ hätten. Und er dankt den Generalsekretären von SPD und FDP, Lars Klingbeil und Volker Wissing, für die vertrauensvolle Zusammenarbeit: „So kann das was werden.“ Die Mainzer Umweltministerin Spiegel weiß aus eigener Ampel-Erfahrung in Rheinland-Pfalz: „Eine Ampel ist kein Selbstläufer, aber mit einem guten Koalitionsvertrag kann man richtig viel bewegen.“

Robert Habeck ist ans Rednerpult gegangen. Er predigt gedämpften Optimismus. „Es ist natürlich noch gar nichts gewonnen. Wir haben noch keinen Koalitionsvertrag.“ Kein Vertun, die Sondierungen seien „ganz gut gelaufen“. Grün ist die Hoffnung. Und so sagt der Co-Vorsitzende der Grünen: „Wir sind in einer Hoffnungszeit angekommen, eine Hoffnungszeit, die wir nicht enttäuschen dürfen.“ Habeck verhehlt auch nicht, dass die Grünen hätten einstecken müssen: Es werde kein Tempolimit geben. Und auch höhere Steuern für Reiche und Gutverdiener, die die Grünen im Wahlprogramm hatten, seien vom Tisch. Trotzdem sei seine Partei dabei, „gerade ein Stück weit grüne Geschichte zu schreiben“. Zum zweiten Mal nach 1998 könnten die Grünen Teil einer Bundesregierung werden. Überhaupt lohne sich ein Blick ins Geschichtsbuch. Ein Aufbruch, wie er jetzt möglich sei, habe es allenfalls nach den Bundestagswahlen 1969, 1982 und 1998 gegeben. Und nun eben wieder: 2021, ein Jahr des rot-gelb-grünen Aufbruchs. Da bellt auch der zwölf Wochen alte Border Collie „Buddy“, den eine Grünen-Delegierte mit in die Halle gebracht hat.

Anja Piel, die im Januar 2017 Annalena Baerbock in einer Kampfabstimmung um den Parteivorsitz unterlegen war, sagt denn auch: „Ja, es liegt sehr viel Hoffnung auf Euch.“ Andreas Autretsch, neu in den Bundestag gewählter Abgeordneter aus Berlin, sagt aber auch: „Wir sollten uns gleichzeitig auch dieses Sondierungspapier nicht besoffen reden. Parteivize Ricarda Lang mahnt die Grünen zur Gesamtverantwortung. Ihre Partei sei „von 15 Prozent gewählt worden“, aber die Grünen müssten Politik für das ganze Land machen. Denn es gebe viele Menschen, die „mehr Angst haben vor dem Monatsende als vor der Klimakrise“.  

Finanzpolitikerin Anja Hajduk kennt aber auch die Kritik an dem Sondierungspapier. Denn: Für die geplanten gigantischen Investitionen in Modernisierung, Digitalisierung und Klimaschutz fehlt bislang ein konkreter Finanzplan. Die FDP habe sich da durchgesetzt, räumte Habeck schon am Freitag ein: Es gebe keine Steuererhöhungen. Hajduk mahnt, irgendwie müssten Schuldenbremse und das „Rieseninvestitionsprogramm“ von 500 Milliarden Euro in zehn Jahren zusammengebracht werden. Der rheinland-pfälzische Landtagsabgeordnete Daniel Köbler sagt, Grüne und FDP müssten aufpassen, dass sie sich „nicht wie die Kinder streiten, und dann kommt die Mutter SPD und schlichtet“. Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann, Teil des grünen Verhandlungsteams, weiß, dass noch nichts entschieden ist: „Das war die erste Etappe.“  

Kanzlerkandidatin Baerbock schickt schließlich den Schlussappell in den Saal. Border Collie „Buddy“ bellt. Die Grünen-Co-Vorsitzende sagt mit Blick auf kommende Koalitionsverhandlungen: „Das wird ein dickes hartes Brett sein.“ Aber: „Wir haben den Mut, Dinge zu verändern.“ Und: Wir haben Lust aufs Machen.“ Am Ende dieses Kleinen Länderrates blinkt die Ampel: Grün. Fehlt am Montag nur noch das Votum der FDP für den Start von Koalitionsverhandlungen. Dann leuchtet die Ampel komplett: Rot, Gelb und Grün.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort