„Grenzen zwischen Rhetorik und Gewalt verschwimmen“

Berlin/Saarbrücken · Der Politikwissenschaftler Hans Vorländer arbeitet seit mehr als zwei Jahrzehnten an der TU Dresden. Mit dem gebürtigen Wuppertaler sprach unser Korrespondent Stefan Vetter über Pegida, Populismus und etablierte Politik.

 Pegida-Demonstranten haben sich am 19.10.2015 in Dresden (Sachsen) versammelt. Vor einem Jahr war Pegida in Dresden erstmals auf die Straße gegangen.Location:Dresden

Pegida-Demonstranten haben sich am 19.10.2015 in Dresden (Sachsen) versammelt. Vor einem Jahr war Pegida in Dresden erstmals auf die Straße gegangen.Location:Dresden

Foto: Michael Kappeler/dpa

Herr Vorländer, Vizekanzler Gabriel sieht in Pegida eine "rechtspopulistische" und zum Teil "offen rechtsradikale Empörungsbewegung". Pflichten Sie ihm bei?
Hans Vorländer: So habe ich es am Montag in einem Zeitungsbeitrag auch formuliert. Zweifellos werden die Grenzen zwischen rhetorischer Aufrüstung und potenzieller Gewaltbereitschaft bei Pegida immer geringer. Oder anders gesagt, die Grenzen zwischen rhetorischer und physischer Enthemmung verschwimmen, sodass man auch Angst haben muss, dass es zu Gewaltausbrüchen kommt.

Was ist davon zu halten, wenn ein Hetz-Redner bedauert, dass die KZs gerade außer Betrieb seien und dafür sogar noch Beifall von Pegida-Teilnehmern bekommt?
Hans Vorländer: Es ist fürchterlich, dass jemand so etwas ungestört sagen kann und sich der Veranstalter davon nicht distanziert. Da wird auch ein Mindestmaß an zivilisatorischen Errungenschaften mit Füßen getreten.

Lässt sich mit solchen Leuten überhaupt noch ein Dialog führen?
Hans Vorländer: Es gibt unterschiedliche Gruppierungen, die bei Pegida mitlaufen. Manche sind im Wesentlichen von Ängsten und Sorgen geplagt und wolle das zum Ausdruck bringen. Mit denen muss man reden, auch wenn das sehr schwer fällt. Mit den Hooligans und den Organisatoren lohnt sich kein Dialog.

Würde der Einfluss von Pegida schwinden, wenn der Zustrom von Flüchtlingen abnehmen würde?
Hans Vorländer: Das ist Spekulation. Pegida war auch schon im Januar sehr groß, als es noch keine Flüchtlinge in dem Ausmaß gab. Auch damals waren schon etwa 25.000 Leute auf der Straße.

Aber zwischenzeitlich war diese Bewegung eher zur Randnotiz geworden.
Hans Vorländer: Das stimmt, sie war kleiner. Und man kann sagen, dadurch, dass es jetzt eine Flüchtlingskrise gibt, bekam Pegida neues Leben eingehaucht. Die Strukturen der Ressentiments, an die Pegida anknüpft, würden allerdings auch ohne Pegida bestehen bleiben. Entscheidend ist, dass wir ein rechtspopulistisches Potenzial im Land haben, das leicht instrumentalisiert werden kann. Ob von Pegida oder der AfD, ist da eher zweitrangig.

Der Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert zog es vor, Urlaub zu machen, während es in seiner Stadt brodelt. Ist das nicht ein Wegducken vor der politischen Verantwortung?
Hans Vorländer: Nein, das würde ich nicht sagen. Hilbert hat sich sehr klar positioniert, auch wenn er am Montag nicht in der Stadt war. Er hat die Kampagne "Herz statt Hetze" gestartet mit einem deutlichen Standpunkt auf Facebook.

Kürzlich gab es eine Großdemonstration in Berlin gegen das geplante Freihandelsabkommen mit den USA. Offenkundig gibt es einen generellen Frust gegen "die da oben", egal ob von rechts oder von links. Wie Sehen sie das?
Hans Vorländer: Zwischen vielen Bürgern und der repräsentativ verfassten, insititutionalisierten Politik besteht zweifellos eine große Distanz, unabhängig ob von rechts oder links. Das liegt daran, dass die Politik selbst sehr unübersichtlich geworden ist und Bürger sich stark auf soziale Medien stützen, in denen sie unter sich sind. Es werden immer mehr politische Entscheidungen im internationalen Rahmen gefällt, die nicht mehr transparent sind. Das führt dazu, dass viele Bürger das Gefühl haben, die Politik agiere an ihnen vorbei.

Bröckelt die Demokratie im Land?
Hans Vorländer: Nein, das tut sie nicht. Allerdings muss man Bewegungen wie Pegida sehr genau beobachten, damit es nicht zu einem Erosionsprozess kommt.

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