Generaldebatte Angela Merkel appelliert an Herz und Verstand

Berlin · Die Generaldebatte im Bundestag ist geprägt von der Corona-Krise. Während die Kanzlerin vor steigenden Infektionszahlen warnt, attackiert die AfD die Regierung.

Angesichts steigender Corona-Neuinfektionen fand Kanzlerin Angela Merkel am Mittwoch im Bundestag eindringliche Worte.

Angesichts steigender Corona-Neuinfektionen fand Kanzlerin Angela Merkel am Mittwoch im Bundestag eindringliche Worte.

Foto: AP/Markus Schreiber

Die letzten zehn Minuten ihrer Rede sind diesmal die entscheidenden. Angela Merkel leitet sie bei der Generaldebatte im Bundestag mit den Worten ein, sie könne jetzt nicht nach der üblichen Routine verfahren, „wenn die Zeit der Pandemie keine Routine kennt“. Es wird still im Hohen Haus. Alle, auch die Zwischenrufer aus der AfD, spüren, dass jetzt etwas folgen wird, was Seltenheitswert hat.

Angela Merkel wendet sich an die Abgeordneten und die Bürger: „Wir müssen miteinander reden. Denn die Infektionszahlen steigen“, sagt sie. Ungewöhnlich eindringlich wird die Kanzlerin, fast fürsorglich spricht Merkel. Im Plenum, auch auf der Regierungsbank, werden die Tablets und Handys beiseitegelegt. Schon seit Tagen treibt Merkel um, dass sich die Corona-Situation in den nächsten Wochen dramatisch verschärfen könnte. Deswegen die Maßnahmen, die sie tags zuvor gemeinsam mit den Ministerpräsidenten auf den Weg gebracht hat. Vor über 19 000 Infektionen täglich hat sie zudem am Montag im CDU-Präsidium gewarnt. Die Physikerin der Macht, die alles so pragmatisch und nüchtern anpackt, springt im Bundestag jetzt über ihren Schatten – denn wer so besorgt ist, muss irgendwie an Herz und Verstand appellieren. Nicht gerade einfach für Merkel.

Alle Regeln und Maßnahmen nützten „wenig bis nichts, wenn sie nicht von den Menschen angenommen und eingehalten werden. Und deshalb: Wir müssen reden.“ Die Bundeskanzlerin zählt auf: Im Familien- und Freundeskreis, mit Kollegen, in den Schulen und Kitas, in den Pflegeheimen, der Nachbarschaft und im Fußballverein. „Wir müssen reden, erklären, wir müssen vermitteln.“ An öffentlichen Orten, im Parlament, in den Kommunen in den sozialen Medien „mit Worten, die möglichst viele erreichen“. Sie spüre selbst, wie sie sich nach Unbeschwertheit sehne. Aber: „Wir riskieren gerade alles, was wir in den letzten Monaten erarbeitet haben.“ Man dürfe nicht nochmal zulassen, dass ein Mensch „mutterseelenallein sterben muss, weil seine Liebsten Abstand zu ihm halten müssen“. Bis auf die AfD applaudieren an dieser Stelle alle Fraktionen.

Sie, so Merkel weiter, wolle alles dafür tun, einen erneuten landesweiten Shutdown zu verhindern. Deshalb ihr Appell: „Halten Sie sich an die Regeln, geben wir alle wieder mehr aufeinander acht.“ Und Merkel verspricht: „Das Leben, wie wir es kannten, wird zurückkehren.“ Ein kühnes Versprechen. Für die Kanzlerin ist es auch ein persönlicher Kampf gegen die Zeit. Es dürfte ihre letzte Rede bei einer Generaldebatte sein. In nur einem Jahr wird sie das Feld räumen, zur nächsten Bundestagswahl tritt Merkel nicht nochmal an.

Dass die Regierungschefin mit ihrem Krisenmanagement richtig liegt, sieht im Bundestag freilich nicht jeder so. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel versucht es gleich mit einem Rundumschlag gegen alle Minister. Höhepunkt ist Weidels Aufforderung an Wirtschaftsminister Peter Altmaier, die Ludwig-Erhard-Büste in seinem Büro durch eine von Karl Marx zu ersetzen. Altmaier rückt seine Brille zurecht und lacht amüsiert. Weidel zeichnet das Bild eines Landes, dem der Absturz droht. „Mit den Fehlleistungen dieser Regierung könnte man eine ganze Bibliothek füllen“, ruft sie giftig. Angriff ist mitunter aber die beste Ablenkung, denn die AfD sinkt gerade durch den Skandal um ihren Ex-Strategen und Sprecher Christian Lüth tiefer in die Krise. Migranten könne man erschießen oder vergasen, hatte er in einem belauschten Gespräch gesagt.

FDP-Chef Christian Lindner wirkt überrascht, er lobt Merkel, sie habe angemessene Worte gefunden. Es fehlten aber immer noch konkrete Maßnahmen wie eine nationale Teststrategie. Vor einem „Kürzungshammer“ bei den Sozialleistungen warnt Links-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Und der Grüne Anton Hofreiter fordert mehr Weitsicht von der Kanzlerin. Besonders bemerkenswert ist jedoch der Beitrag von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Er kann der Versuchung nicht widerstehen, eine Wahlkampfrede zu halten – ähnlich wie schon am Tag vorher Finanzminister und Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Mützenich lobt, dass die Koalition einen Haushalt „mit Kraft und Ausdauer“ vorgelegt habe. Doch dann ruft er: „Olaf Scholz ist der richtige Kanzler für Deutschland!“ Es wird gefeixt im Plenum. „Das ist doch peinlich“, schallt es dem Genossen entgegen. Auf der Regierungsbank setzt Scholz ein Lächeln auf, das eher aussieht wie unangenehm berührt. Angela Merkel sitzt nur drei Plätze neben ihm.

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