„Für viele Opferfamilien ist das Leben düster geworden“

Saarbrücken/Berlin · Gestern hat der Bundestag einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, der sich mit den Ermittlungspannen um die Zwickauer Nazi-Mörder befassen soll. Die Angehörigen der Opfer blicken darauf mit Skepsis und Spannung, wie Barbara John unserem Korrespondenten Werner Kolhoff erläuterte. Die 73-jährige Berliner CDU-Politikerin und langjährige Ausländerbeauftragte der Hauptstadt war im Dezember von der Bundesregierung als Ansprechpartnerin (Ombudsfrau) für die betroffenen Familien eingesetzt worden.

Wie wichtig ist der Untersuchungsausschuss des Bundestages für die Angehörigen?
Barbara John: Die Opferfamilien haben wenige Informationen darüber, was alles inzwischen herausgefunden wurde. Sie sind brennend daran interessiert zu erfahren, was damals passiert ist. Und auch, warum sie damals so demütigend behandelt wurden.

Was ist aus Ihrer Sicht das wichtigste politische Ziel der Aufarbeitung?
Barbara John: Dass man herausfindet, wie die Ermittlungspannen passieren konnten. Man wird das Räderwerk der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden auf den Prüfstand stellen müssen. Das zweite ist: Warum konnte es zu dieser Zelle kommen, welchen gesellschaftlichen Hintergrund gibt es dafür und welche Schlussfolgerungen ziehen wir daraus für die Zukunft in allen gesellschaftlichen Bereichen.

Welche könnten das sein?
Barbara John: Ein Element ist zum Beispiel, dass wir über unsere Definition von Hassverbrechen im Strafgesetzbuch nachdenken müssen. Die bisherige ist viel zu eng, sie verlangt praktisch, dass die Täter eindeutige Symbole und Bekenntnisse hinterlassen, etwa ein Hakenkreuz. Wir sollten uns zum Beispiel den britischen Kriterien annähern, wo eine fremdenfeindliche Straftat in der Regel von den Ermittlern immer dann in Betracht gezogen wird, wenn das Opfer ein Einwanderer ist. Ich unterstütze ausdrücklich und schon seit Jahren den Vorstoß, den einige Länder jetzt im Bundesrat für eine Gesetzesänderung unternommen haben.

Sie haben erste Gespräche mit den Angehörigen geführt. Hat die Mordserie bei ihnen eine bleibende Angst hinterlassen?
Barbara John: Vor allem ein bleibendes Misstrauen. Sie mussten den Verlust ihres wichtigsten Menschen hinnehmen, des Vaters oder Ehemannes, und wurden dann noch verdächtigt, vielleicht etwas mit der Mafia oder Ähnlichem zu tun zu haben. Was soll man von so einem Land halten?

Was muss für die Angehörigen getan werden?
Barbara John: Ein Beispiel: Viele haben sich jetzt einen Anwalt genommen, um als Nebenkläger auftreten zu können. Den bezahlen sie selbst. Warum eigentlich? Oder: Es gibt Kinder, die seit den Morden von ihren Großeltern großgezogen werden, ohne irgendwelche Hilfen. Es gibt eine Fülle von Alltagsproblemen, die sich aus den Taten ergeben haben. Das Leben ist für viele Familien sehr düster geworden und manche Familien wurden regelrecht auseinander gerissen.

Werden Sie einen Katalog von Vorschlägen vorlegen?
Barbara John: Daran arbeite ich zusammen mit den Familien. Das werden wir dann den Ländern und den Kommunen vorlegen. Ich hoffe, dass die Verwaltungen sensibel handeln.

Es soll im Februar eine von Bundespräsident Wulff geplante Gedenkveranstaltung geben. Wie nehmen die Angehörigen diese Veranstaltung wahr?
Barbara John: Einige werden teilnehmen, vor allem die Opfer des Kölner Nagelbomben-Anschlags. Andere nicht. Das hat unterschiedliche Gründe, zum Beispiel auch, dass sich einige fürchten, dort von den Medien zu sehr bedrängt zu werden. Die große Trauer liegt schon einige Jahre zurück. Nun wird das Ereignis, das sich tief in das Leben eingegraben hat, wieder aufgewühlt. Manche wollen das nicht. Einige sind auch gar nicht in Deutschland.

Da klingt Skepsis durch, ob diese Veranstaltung überhaupt Sinn macht.
Barbara John: Nein, eine solche Veranstaltung ist das mindestes für ein Land, das eine Zeit lang offenbar nicht mehr wusste, wie rechtsradikales Denken sich auswirkt. Es war nicht mehr beachtet worden, dass solche Denken immer in Hass umschlägt. Es gibt viel Rassismus im Alltag, den wir nur durch Aufmerksamkeit zurückdrängen können. Die Gedenkveranstaltung kann dafür ein Mosaikstein sein.

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